Ich mag meine Schwiegereltern. Auch wenn ich manchmal frotzele, das Beste an meiner Schwiegermutter sei die Tatsache, dass sie rund 400 Kilometer weit weg wohnt – wir kennen und schätzen unsere Eigenarten und akzeptieren, dass wir in völlig unterschiedlichen Welten leben. In der von meiner Schwiegermutter gibt es sonntags Thüringer Klöße, und lächelnde Nippesfiguren zieren jede horizontale Oberfläche. Ich dagegen stamme aus der Welt von „bio, aber bitte stylish“ und „Fenster geputzt? Hab ich doch erst letztes Jahr.“ Aber das ist okay. Keiner hat das Bedürfnis, den anderen zu missionieren, und wenn wir uns besuchen, muss sich niemand verbiegen.

So weit, so gut.

Natürlich kennen meine Schwiegereltern unsere große Reiseleidenschaft. Zu Weihnachten bekamen wir deshalb einen Gutschein für drei Übernachtungen im Harz. Wir freuten uns riesig – aber ein bisschen mulmig war uns doch, denn das Geschenk stammte eindeutig aus ihrer Welt: Den Gutschein zierte ein röhrender Hirsch, und er stammte vom „Braugasthof Brauner Hirsch“, der mit „Harzer Gastlichkeit“ wirbt. Na ja, dachten wir. Beim Couchsurfing kontrollieren wir ja auch vorher nicht, ob die Wohnzimmereinrichtung unserem persönlichen Geschmack entspricht. Fahren wir einfach mal hin.

Sophienhof ist etwas abgelegen - aber keine Angst, in die andere Richtung sind es "nur" zehn Kilometer bis zur nächsten Ortschaft... (Looking for a remote place? Try Sophienhof!)

Sophienhof ist etwas abgelegen – aber keine Angst, in die andere Richtung sind es „nur“ zehn Kilometer bis zur nächsten Ortschaft…

Der „Braune Hirsch“ befindet sich in der winzigen Ortschaft Sophienhof im östlichen Südharz, in dem kleinen Zipfel, den Thüringen vom Kuchen abbekommen hat. Von Schaumburg aus überqueren wir das Mittelgebirge also einmal komplett. Die Landesgrenze markiert ein schwarz-rot-golden geschmückter Imbiss. „Gartenzwerge!“ ruft Silas. „Jetzt sind wir in Thüringen, oder?“ In Wirklichkeit ändert sich nichts, die Infrastruktur im Ostharz steht der im westlichen Teil um nichts nach, und auch die Zwergendichte steigt nicht signifikant. Bis wir in Sophienhof angekommen sind, dauert es noch etwas. Zehn Kilometer fahren wir durch den Wald, ohne etwas anderes zu sehen als Bäume, dichtes Grün und einen Bach, der sich durch die Idylle schlängelt. Dann haben wir die kleine Ansammlung von Häusern erreicht, in deren Mitte wir sofort den Gasthof finden. Der Parkplatz ist riesig – und voll. Wir ergattern den letzten Stellplatz und melden uns in der Gaststube zum Einchecken. Der Hausherr trägt eine kurze Lederhose, die Chefin ein Dirndl. Oh ja.

Der Name ist Programm im "Braugasthof Brauner Hirsch". ("The Brown Stag" lend its name to the inn.)

Der Name ist Programm im „Braugasthof Brauner Hirsch“.

Wir werden freundlich empfangen und beziehen eine Ferienwohnung im Nebengebäude. Sie ist klein, genügt unseren Ansprüchen aber vollkommen – bis auf eine Ausnahme: Es gibt keine Kochgelegenheit. Also, es gibt eine Mikrowelle, aber die als Kochgelegenheit zu bezeichnen, finde ich schon frech. Na, was soll’s, geschenkter Gaul und so, wir machen keinen Aufstand. Aber eine Ferienwohnung ohne die echte Möglichkeit zum Kochen ist keine Ferienwohnung, oder sehe ich das falsch?

Egal, heute wollten wir uns ohnehin ein Abendessen in der Gaststube gönnen. Es ist brechend voll und wir bekommen nur dank unseres Hausgäste-Bonus einen Tisch. Die Portionen sind riesig und schmecken prima, thüringische Hausmannskost. Dazu gibt es selbstgebrautes Bier, das ebenfalls hervorragend ist. Da die Jungs sich nicht mit dem obligatorischen Kinderschnitzel/Pommes zufrieden geben möchten, dürfen sie sich eine halbe Portion Wildschweingulasch von der Erwachsenen-Karte aussuchen (die immer noch so reichlich ausfällt, dass auch ich davon satt geworden wäre – für mindestens ein Kind wäre ein leerer „Piratenteller“ angebracht gewesen). Die Atmosphäre ist laut und zünftig, an vielen anderen Tischen sitzen ebenfalls Familien mit kleinen Kindern, oft zusammen mit ihren Großeltern. Und wirklich, hier haben wir niemals das Gefühl, dass irgendjemand unsere Jungs als störend empfindet. Abgesehen vom Büffet, an dem die Kinder am nächsten Tag ernsthaft denselben Preis wie Erwachsene zahlen sollen (ich habe drei Mal nachgefragt), ist der „Braune Hirsch“ durch und durch familienfreundlich. Die Preise sind völlig okay, und unsere Reste dürfen wir mitnehmen (immerhin haben wir eine Mikrowelle…).

Für ländliche Idylle sorgen in Sophienhof nicht nur Wald und Wiesen, sondern auch die stattliche Ziegenherde.

Für ländliche Idylle sorgen in Sophienhof nicht nur Wald und Wiesen, sondern auch die stattliche Ziegenherde.

Um es kurz zu machen: Wir verbringen drei wunderschöne Tage im Harz. Ein großartiger Ausflug ist der nach Clausthal-Zellerfeld und ins „HöhlenErlebnisZentrum Iberger Tropfsteinhöhle“, das unter anderem über 3000 Jahre zurückreichende Verwandtschaftsverhältnisse in der Gegend informiert. Wir unternehmen eine tolle Wanderung im Nationalpark . Außerdem erkunden wir die Stadt Blankenburg und den Hexentanzplatz mit der Harzbob-Bahn (dito). Und wir spazieren durch das idyllische Sophienhof und entdecken die Ziegen-Alm. Hier finde ich mein „bio, aber bitte stylish“: Eine große Ziegenherde bimmelt mit ihren Glocken hinterm Haus, die Böckchen springen artgerecht über die Wiese, und nebenan im Hofladen gibt es den Käse ihrer Mamas in allen erdenklichen Variationen zu kaufen, dazu auch Wurst, Marmelade und unkitschiges Kunsthandwerk aus der Region. Auch erstaunlich leckeres Ziegeneis in verschiedenen Sorten gibt es, entweder gleich auf die Faust oder im gemütlichen Café, in dem ich einfach nur wohlig vor mich hin seufze.

In der gemütlichen, leicht alternativen Atmosphäre der Almstube schmeckt das Ziegen-Eis hervorragend. (Fresh ice-cream made from goat milk - tastes a lot better than you'd think.)

In der gemütlichen, leicht alternativen Atmosphäre der Almstube schmeckt das Ziegen-Eis hervorragend.

Und auf die Postkarte an die Schwiegereltern schreiben wir aus tiefstem Herzen: „Vielen, vielen Dank für diese wunderschönen Tage! Ihr seid toll!“

Der „Braugasthof Brauner Hirsch“ hat die Adresse Dorfstraße 42 in Sophienhof/Harz. Die Preise für die Übernachtung beginnen bei 23,50 Euro pro Person im Doppelzimmer inklusive (hervorragendem!) Frühstück. Kinder bis zwölf Jahre zahlen im Elternzimmer 13 Euro, bis fünf Jahre nichts. Die Ferienwohnungen starten ab 30 Euro pro Nacht für zwei Personen, pro Kind bis zwölf Jahre 4 Euro Aufschlag, plus 26 Euro Endreinigung. Frühstück, Halb- und Vollpension lassen sich hinzubuchen, auch Hunde sind gegen Aufschlag willkommen.
Öffnungszeiten der Ziegenalm: Café Almstube von Mai bis Ende Oktober Dienstag bis Freitag 12 bis 18 Uhr, am Wochenende bereits ab 10. Im Winterhalbjahr nur mittwochs von 12 bis 18 sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Der Hofladen öffnet ab Ostern Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr, ab November hält er sich an die Öffnungszeiten des Cafés.