In den Winterferien haben die Jungs und ich zwei herrliche Tage in Dresden verbracht.

Urlaub in Dresden? Jetzt? Wo doch jeden Montag der Pegida-Mob durch die Straßen wogt und sich das Image der Stadt auch in meinen Augen von „Elb-Florenz“ zu „Rassisten-Hochburg“ gewandelt hat? Wo ganz Sachsen sich fleißig den Ruf einer „No-go-Area“ nicht nur für Ausländer, sondern – allein schon aus Solidarität – auch für ethisch gefestigte Menschen deutscher Nation erarbeitet?

Ganz ehrlich: Hätten uns nicht zufällig verwandtschaftliche Verbandelungen in Sachsens Hauptstadt gezogen, stünde Dresden im Moment nicht sonderlich hoch auf meiner Wunschliste.

Fremdenfeindlichkeit macht unsympathisch.

Dass ich mit dieser Empfindung nicht alleine stehe, zeigt die Statistik der Übernachtungszahlen von 2015, die gerade vergangene Woche ihren Niederschlag in den Medien gefunden hat (zum Beispiel hier in der Süddeutschen Zeitung). Es kommen deutlich weniger deutsche Besucher. Die Vertreter der Tourismus-Branche nennen das ganz klar den „Pegida-Effekt“.

Und so steige ich am vergangenen Dienstag mit sehr gemischten Gefühlen in den Zug, der uns dank früher Buchung für schmale 29 Euro zu dritt quer durch Deutschland nach Dresden bringt.

Kinder-Logik: Fahren wir halt zu den Hirnrissigen

Den Jungs ist die politische Lage weitgehend egal. Die freuen sich nur auf ihre Tante Gesa, die es aus universitären Gründen in den fernen Osten der Republik verschlagen hat. Was Pegida ist, das wissen sie schon, so ungefähr zumindest. „Hirnrissig“, urteilt Janis, und kann das auf Nachfrage auch detailliert begründen, so schlüssig das einem 11-Jährigen gelingen kann. Trotzdem in die Hauptstadt der Bewegung zu reisen, finden die beiden Jungs nicht verwerflich. „Das hat ja nichts mit uns zu tun“, meint Silas. „Ob wir hinfahren oder nicht, ändert nichts daran, dass die da sind.“

Nach Dresden reisen trotz Pegida: Die Dresdner Neustadt ist bunter als der Rest.

Die Dresdner Neustadt ist beschwingter als der Rest.

Anti-Oase Neustadt

Der Zug fährt durch bis Dresden-Neustadt. Das ist der bunte, laute, studentisch-alternative Stadtteil, in dem meine Schwester wohnt. Sie und ihr Mann holen uns zu Fuß vom Bahnhof ab, und wir schlendern entlang des vermüllten Bahndamms, auf dem süß und zierlich die Schneeglöckchen blühen, vorbei an einst grauen Häuserwänden, die längst über und über mit Graffiti bedeckt sind.

Nach Dresden reisen trotz Pegida: Man kann den Leuten aus der Neustadt sicher einiges vorwerfen. Mangelnde Fantasie aber ebenso wenig wie Pegida.

Man kann den Leuten aus der Neustadt sicher einiges vorwerfen. Mangelnde Fantasie aber ebenso wenig wie Pegida.

Die meisten Menschen, die uns begegnen, sind jung, bunt und lässig, und einigen sieht man sogar einen Migrationshintergrund an der Nasenspitze an. Von Pegida keine Spur, möchte man sagen – aber das stimmt nicht. Auch hier in der Dresdner Neustadt, vielleicht gerade hier, zeigt die rechtspopulistische Bewegung Spuren. Sie sind natürlich gegen die „besorgten Bürger“ gerichtet und stehen auf Plakaten, Aufklebern und immer wieder an Fassaden. „Pegida super hart boxen!“ steht da zum Beispiel an eine Hauswand geschmiert (wohl mit Grüßen an Marc-Uwe Klings Känguru*, das wir sehr lieben). Und auch die Aktionskünstlerin „Barbara“ bezieht an mehreren Standorten klar Stellung gegen Pegida und AfD. Wie die Neustadt zu diesem Thema steht, zeigt sich deutlich auf Schritt und Tritt, auch an den gut frequentierten Döner-Läden und Shisha-Bars mit orientalischem Dekor.

Dresden Neustadt Grafitti #nopegida

Schön sieht das nicht aus, und ich glaube natürlich auch nicht, dass Gewalt in irgendeiner Form eine Lösung bringt. Aber Grafitti wie dieses ist wenigstens ein Zeichen, dass nicht alle so denken wie „die in den Nachrichten“.

Pegida gegen #nopegida

Dresden kann also auch anders. Dass nicht „alle Nazis“ sind, weiß sowieso jeder, der mit ein wenig Hirn gesegnet ist. Mich persönlich freut es, hier so eine klar ausgerichtete weltoffene Stimmung vorzufinden.

Aber an dem Thema des Rechtspopulismus kommt in Dresden eben auch niemand vorbei. Es ist ein Konflikt, zu dem sich jeder positionieren muss. Meine Schwester, die als Psychotherapeutin arbeitet und deshalb die aktuellen Sorgen mancher Dresdner kennt, könnte ein Lied davon singen. Natürlich darf sie keine Details ausplaudern. „Aber es ist schon immer wieder ein Thema, das die Menschen belastet. Zum Beispiel, wenn es innerhalb der Familie unterschiedliche Meinungen gibt, oder auf der Arbeit“, erzählt sie.

Auch die Museen positionieren sich

Am nächsten Tag fahren wir mit der Tram über die Elbe in die Altstadt und verbringen ein paar großartige Stunden im Museum. Frauenkirche, Zwinger und Co kennen wir schon. Heute ist das Neue Grüne Gewölbe dran, in dem die unvorstellbaren Schätze der sächsischen Fürsten und Könige lagern. Dresden ist ein Kulturziel von Weltrang. Wer diese Menge an filigranstem Kunsthandwerk sehen will, detailreichste Elfenbeinschnitzereien und mehr als hundert Gesichter auf einem Kirschkern, prunkvollste Kostbarkeiten aus Silber, Gold und Edelsteinen und den größten grünen Diamanten der Welt, der muss nach Dresden reisen.

Nach Dresden reisen trotz Pegida: Das Grüne Gewölbe ist eine echte Schatzkammer voller Protz und Prunk in teils absurden Ausmaßen. Die goldene Kugelbahn mit Uhrwerk und mechanischen Spielereien fasziniert die Jungs besonders.

Das Grüne Gewölbe ist eine echte Schatzkammer voller Protz und Prunk in teils absurden Ausmaßen. Die goldene Kugelbahn mit Uhrwerk und mechanischen Spielereien fasziniert die Jungs besonders.

Als Tourist, der sich auf die Sehenswürdigkeit der Altstadt konzentriert, ist es gut möglich, die Augen vor der aktuellen Rechtsneigung großer Bevölkerungsteile zu verschließen. Die Zahl der internationalen Besucher, die zum großen Teil als organisierte Reisegruppen unterwegs sind, ist entsprechend im vergangenen Jahr nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Aber als ich bei unserem kurzen, weil ungemütlichen Altstadt-Spaziergang durch Schneeregen und eisigen Wind den Blick hebe und an der Fassade des Residenzschlosses ein Spruchband entdecke, bin ich doch erfreut und dankbar. Auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden positionieren sich klar gegen Pegida und Co. „14 Museen mit Werken aller Kontinente. Ein großes Haus voller Ausländer. Wir sind ein Volk“, steht dort.

Nach Dresden reisen trotz Pegida: Was für eine Erleichterung: Auch öffentliche Einrichtungen distanzieren sich klar vom fremdenfeindlichen Mob.

Was für eine Erleichterung: Auch öffentliche Einrichtungen distanzieren sich klar vom fremdenfeindlichen Mob.

Wenn man Dresden mit Belgrad vergleicht

Natürlich mag in diesem Zusammenhang der eine oder andere vermuten, dass solche Aktionen vielleicht mehr dem Versuch einer Begrenzung des „Pegida-Effekt“ entsprechen, mehr die Hoffnung einer tourismuswirtschaftlichen Schadensbegrenzung darstellen als ein ernsthaftes politisches Bekenntnis.

Aber selbst wenn es so wäre, bin ich doch froh, dass eine öffentliche Distanzierung geschieht. Das ist genau das, was ich in Belgrad vermisst habe, als wir in die lauten Feierlichkeiten zur krankheitsbedingten Freilassung eines rechtsradikalen Kriegsverbrechers gerieten. In meinem Blogbericht habe ich damals getitelt: „Schockmoment: Darum brauche ich nicht noch mal nach Serbien“. Gerade erst vor ein paar Tagen hat mir ein Leser einen empörten Kommentar darunter gesetzt und selbst einen Bezug zu Dresden hergestellt:

Mein Gott Serbiet so ein wünderschones Land und sie schreiben über paar Idioten .Genauso wenn ich Dresden besuche und schreibe über rechten und Pegida.Schade.Wieder einmal Vorurteile gesucht und gefunden. Schade noch mal .Dafür ist für euch Croatien beispiel na Demokratie .A ja die haben 3 Tage lang ihren Kriegsverbrecher gefeiert.“

Ich mag diesen Kommentar, weil er sich selbst so schön ad absurdum führt. Abgesehen davon, dass er zeigt, wie selektive Wahrnehmung funktioniert (in Serbien feiern „paar Idioten“, in Kroatien „die“, also alle, und außerdem viel mehr, und die haben aber angefangen, und die anderen machen das auch alle, und überhaupt sind wir hier wohl im Kindergarten oder was) – abgesehen davon also, spricht er natürlich eine wichtige Sache an. Damit meine ich nicht den traurigen Fakt, dass man Dresden aktuell tatsächlich besser mit Serbien vergleichen kann als mit sympathischen Metropolen der Kunst und Kultur. Wer Vorurteile hat, findet leicht Bestätigung. Da könnte jeder Pegidist ein Lied von singen (wenn er denn mal sein Hirn benutzen würde). Und da kann auch ich mich nicht von ausnehmen, weil ich auch nur ein Mensch bin.

Wie schlimm für Dresden, wenn das jetzt in so einen Automatismus rutscht: Dresden, die Nazistadt. Dresden = Pegida.

Dresden in trist: Schneeregen auf den Brühlschen Terrassen.

Dresden in trist: Schneeregen auf den Brühlschen Terrassen.

Ich bin froh, dass wir hingefahren sind. Dass wir selbst nachgucken können, was da so los ist. Mit der größtmöglichen Offenheit und Unvoreingenommenheit, die wir aufbringen können (was immer das heißen mag, objektiv gesehen).

Neustadt, die bunte Seifenblase

An unserem zweiten Dresden-Tag lassen wir uns treiben. Wir verbringen ihn komplett in der Neustadt. Bei schönstem Vorfrühlingswetter ziehen wir von Spielplatz zu Spielplatz durch Europas geburtenstärkstes Stadtviertel. Wir essen Eis in der Tiki-Bar mit Südsee-Feeling, schlendern durch die Kunsthof-Passage und durch die Innenhöfe der Häuserblocks, und die Jungs finden immer wieder noch einen neuen Spielplatz, auf dem sie sich enthusiastisch beschäftigen, während ich in den absurdesten Boutiquen und (ziemlich lange) an einem herrlichen Ort namens Reisebuchladen (Louisenstraße) verschwinde. Nachdem wir am Vortag schon original spanische Chocolate con Churros im Café Nibs genossen haben (Kamenzer Straße), gönnen wir uns very britischen Cream Tea im Endland England (Martin-Luther-Straße).

In der Dresdner Neustadt ist alles ein bisschen anders.

In der Dresdner Neustadt ist alles ein bisschen anders.

Mir ist klar, dass wir in einer schillernden Seifenblase schweben. Wären wir ernsthafte Journalisten, würden wir uns zu Recherchezwecken in die Vororte mit den Plattenbauten aufmachen, in denen die Sorte Leute wohnt, die empfänglicher für rechte Parolen ist. Denn so haben wir tatsächlich NICHTS bemerkt, was Dresdens Problem mit dem Rechtspopulismus überhaupt bewiesen hätte. Wir sind damit nicht in Berührung gekommen, nicht direkt, nur über angewiderte Erzählungen und Zeichen des Protests.

Aber wir sind auch keine investigativen Journalisten, wir sind Urlauber. Wir genießen unseren Besuch da, wo man ihn wirklich genießen kann.

Einen Eindruck davon, was uns in anderen Stadtteilen erwarten würde, vermitteln uns schon die Kommentare unter diversen Artikeln der Dresdner Tageszeitungen zur Genüge: Brechreiz garantiert.

Insel der Seligen: Abenteuerspielplatz Panama in der Seifhennersdorfer Straße.

Insel der Seligen: Abenteuerspielplatz Panama in der Seifhennersdorfer Straße.

Fazit: Nach Dresden reisen trotz Pegida, ja oder nein?

Als wir am nächsten Tag wieder im Zug nach Westen sitzen, überlege ich mir, welches Fazit ich denn nun ziehen kann aus diesem Kurzurlaub in Pegida-Land.

Schön war’s, auf jeden Fall. Man sollte der Stadt nicht Unrecht tun, finde ich. Es sind eben nicht „alle Nazis“, natürlich nicht. Es sind auch nicht alle „ich bin ja kein Nazi, aber“.

Einerseits finde ich es ein gutes Zeichen, wenn sich eine laut kommunizierte und öffentlich zelebrierte Fremdenfeindlichkeit in den Übernachtungszahlen ganz klar wirtschaftlich negativ bemerkbar macht. Das ist ja ein ganz deutliches Zeichen der in dieser Beziehung anständigeren Mehrheitsgesellschaft: „Mit so was wollen wir nichts zu tun haben!“ Solange das der Fall ist, habe ich noch Hoffnung für Deutschland.

Andererseits ist und bleibt Dresden ein sehenswertes Juwel. Und es ist eben auch voll von anständigen Menschen, die nur leider nicht ganz so laut sind.

Deshalb lautet meine abschließende Empfehlung: Wenn ihr nach Dresden fahrt, guckt euch mit offenen Augen um! Und gebt der Neustadt eine Chance. Sie hat es verdient, und ihr habt selbst auch was davon.

Bummeln in der Neustadt lohnt sich (hier in der Görlitzer Straße, glaube ich).

Bummeln in der Neustadt lohnt sich (hier in der Görlitzer Straße, glaube ich).

Transparenz-Hinweis: Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) haben mir im Vorfeld auf Anfrage unkompliziert ein Presse-Ticket für das Neue Grüne Gewölbe zur Verfügung gestellt (weil ich noch einen Artikel über kindertaugliche Museen in Dresden plane). Ansonsten stehe ich mit keinen Institutionen der Tourismusbranche in Dresden in Kontakt.

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