Wer ganz im Süden Italiens unterwegs ist, kommt um diese Stadt eigentlich gar nicht drumrum.

Taranto oder Tarent?

Zunächst einmal: Im Deutschen wird die Stadt im Süden Italiens Tarent genannt. Das erfahren wir erst, als wir im Nachhinein bei Wikipedia recherchieren. Für uns heißt diese Stadt Taranto. Es ist ja auch, wenn man mal darüber nachdenkt, eine höchst lästige Angewohnheit von Ausländern (egal welchen), Städte anderswo stur in ihrer eigenen Sprache zu benennen, und schon aus Prinzip möchte ich da nicht mitmachen. Andererseits wäre es auch albern, hier von Roma, Praha und Athina zu erzählen – auf Deutsch heißt das nun mal Rom, Prag und Athen. Trotzdem bleibe ich in diesem Fall bei Taranto. Als ich dort war, hieß die Stadt so, und alles andere käme mir falsch vor.

taranto-ponte

Stadt mit viiiel Geschichte

Taranto also liegt dort, wo auf dem italienischen Stiefel der Absatz beginnt, im Salent (Salento), am äußersten Rand von Apulien (was auf Italienisch Puglia heißt). Heute hat die Stadt gut 200.000 Einwohner. Früher waren es mal mehr, angeblich 300.000, und mit früher meine ich in diesem Fall ganz früher. Der Ort soll mehr als 1000 Jahre älter sein als Rom und zeitweise deutlich größer als die heutige Hauptstadt.

In der Tat sind Siedlungsspuren aus der frühen Bronzezeit nachgewiesen. Auswanderer aus Sparta gründeten hier eine ihrer ganz wenigen Kolonien und nannten sie Taras. Noch heute wird das griechische Erbe hochgehalten. Im Zentrum der Stadt stehen noch zwei mächtige Dorische Säulen, die einst zu einem Poseidon-Tempel gehörten. König Pyrrhos fabrizierte hier im Kadmeischen Krieg gegen die Römer den viel zu teuer erkauften Sieg, der als Pyrrhussieg als geflügeltes Wort auch in die deutsche Sprache einging. (Kennt außer mir eigentlich noch jemand diesen Begriff? Ich hätte ihn für Allgemeinwissen gehalten, aber Martin behauptet grad, er hätte diesen Ausdruck noch nie gehört.)

Mitten in der Stadt, ganz in der Nähe von Rathaus und Festung, stehen die zwei dorischen Säulen, Überbleibsel des Poseidon-Tempels.

Mitten in der Stadt, ganz in der Nähe von Rathaus und Festung, stehen die zwei dorischen Säulen, Überbleibsel des Poseidon-Tempels.

Natürlich wurde die griechische Stadt schließlich doch dem Römischen Reich eingegliedert. Nachdem auch die Römer wieder untergegangen waren, wechselten die Herrscher im Mittelalter so vor sich hin: Byzantiner, Goten, Langobarden. Im neunten Jahrhundert gründeten sogar die arabischen Sarazenen ein islamisches Emirat in Süditalien (damals hätte ich die Gründung der Pegida verstanden…). Hundert Jahre später – die ganze Region hatte sich zwischenzeitlich zum Zankapfel entwickelt – legte eine slawisch-sarazenische Armee Taranto in Schutt und Asche. Erst Jahrzehnte später baute man die Trümmer wieder auf. Dann kamen die Normannen, dann die Staufer – es ist doch immer wieder erstaunlich, was für ein Kuddelmuddel da so herrschte im Mittelalter. Tarent war inzwischen ein Fürstentum, erst unter Oberherrschaft des Königreichs Sizilien, dann unter dem Königreich Neapel, dessen Herrscher Ferdinand von Aragon die große Festung von Taranto errichten ließ. Um munter noch ein paar weitere Namen in den Salat zu werfen: Man kämpfte mit den französischen Bourbonen, die Aragonen waren eigentlich Spanier, und die Venezianer und die Türken tauchten als regelmäßige Bedrohung auf. Wer glaubt, die deutsche Geschichte sei kompliziert, kann sich den Blick auf den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stiefel gleich sparen. Wer hingegen auf der Suche nach Stoffen für die nächste Telenovela ist, sollte einen Blick in die Verstrickungen sämtlicher Herrscherhäuser dieser Zeiten werfen.

Taranto heute

Heute ist das Auf und Ab der Stadtgeschichte mal wieder beim Ab angekommen. Taranto ist pleite, hat Konkurs angemeldet, und die Altstadt ist teils in einem desaströsen Zustand. Das riesige Stahlwerk, das nach dem Niedergang der Fischerei als Wohlstandsquelle der Stadt agierte, sorgte in Kombination mit anderen Industrieanlagen auch dafür, dass Taranto als dreckigste Stadt Italiens bezeichnet wurde. Die Dioxinbelastung ist erheblich und sorgte bereits für zahlreiche Untersuchungen und Gerichtsverfahren. Wir hören, dass 20 Kilometer rund um das Stahlwerk Weidehaltung verboten sei, sehen in dieser Zone aber viele Orangenplantagen und Olivenhaine. Die Luft am westlichen Ende der Stadt ist jedenfalls so schlecht, dass die Kinder auf der Rückbank motzen, man möge doch bitte Gas geben, um die „Stinke-Stadt“ so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. In der Innenstadt hingegen haben wir von dem Drama absolut nichts gemerkt. Auf der Altstadt-Insel Isola del Borgo haben wir ein sehenswertes Städtchen erlebt.

Die Festung bestimmt das Stadtbild von Taranto.

Die Festung bestimmt das Stadtbild von Taranto.

Idealer Zwischenstopp

Für uns ist die Stadt leider nur ein kurzer Zwischenstopp auf der Weiterfahrt nach Kalabrien.

Wir landen hier dank unserer „Mittags-Picknick machen wir da, wo es schön ist“-Politik. Auf der Altstadt-Insel, in der Nähe des alten Hafens, finden wir problemlos einen kostenlosen Parkplatz (das sind in ganz Italien die mit den weißen Umrandungen; die Parklücken, die mit blauen Linien eingezeichnet sind, sind kostenpflichtig). Eigentlich will ich bloß ein Foto von der schicken Brücke machen, über die wir gerade gefahren sind, und dann wollen wir uns eine Bank mit Blick aufs Meer suchen, um unsere Butterbrote zu verspeisen.

Dann brauchen wir aber doch ein Klo. Mit dieser Mission habe ich in Triest ganz böse Erfahrungen gemacht. Der Süden konsolidiert mich aber, denn die Dame in der Tourist Information ist nicht nur nett und freundlich, sondern sie lässt uns auch die Toilette im Festungsgebäude benutzen, in dem ihr Büro untergebracht ist. Dann schickt sie uns einmal um die Ecke in den Innenhof der St. Angelo-Festung. Ganz unbedarft stolpern wir so in ein geschichtliches Vergnügen, mit dem wir hier gar nicht gerechnet haben.

Führung durch die Festung Sant’Angelo

Castello Aragonese“ ist die Bezeichnung, die sich bei den Bewohnern von Taranto eingebürgert hat, denn König Ferdinand von Aragon war derjenige, der die mächtige Seefestung hat errichten lassen. Tatsächlich aber, so lernen wir auf der gut einstündigen Tour durch die alten Gewölbe, haben schon die alten Griechen das Gelände befestigt. Zu byzantinischen und normannischen Zeiten wurde ausgebaut, und auf die alten Ruinen zimmerte man dann Ende des 15. Jahrhunderts die gediegene Seefestung. Bis heute gehört sie der italienischen Marine, und es ist ein Offizier in Uniform, der uns tief in die Gemäuer und ebenso tief in deren Geschichte führt. Die Archäologen haben hier in den letzten Jahren spannende Entdeckungen gemacht. Eine alte Küche kam zum Vorschein, und da, wo noch vor wenigen Jahrzehnten Matrosen duschten und aufs Klo gingen, fand man die Fundamente eines achteckigen Turms aus dem Altertum. Die Jungs begeistern sich natürlich vor allem für die Kanonen, die noch original aus der Renaissance-Zeit stammen. Und ganz besonders fasziniert sie die mumifizierte Katze, die vor hundert oder zweihundert Jahren auf die falsche Seite der Mauern geraten sein muss, als diese ausgebessert wurden.

"Echte Kanonen" faszinieren die Jungs.

„Echte Kanonen“ begeistern die Jungs.

Über die Ponte Girevole

Wir marschieren noch einmal über die Ponte Girevole, die drehbare Eisenbrücke aus dem Jahr 1887. Dank eines hydraulischen Mechanismus ließ sich die 90 Meter lange Brücke für den Schiffverkehr öffnen. Sie verbindet das Festland mit der Altstadt, die seit dem Bau des Kanals eine Insel ist. Dahinter liegt das Mare Piccolo, eine Lagune, in der die Miesmuschel- und Austernzucht gedeiht und wo bis vor zehn Jahren der Hafen lag.

Und eigentlich hätte die Stadt ja noch viel mehr zu bieten. Zumindest entnehmen wir das dem Stadtplan, den wir im Tourismusbüro bekommen haben. Aber wir müssen an diesem Tag noch eine ganze Ecke fahren, und so reicht es für uns nur noch für ein kleines Picknick mit Blick auf den geschäftigen Hafen.

Praktische Hinweise

Die Festung Sant’Angelo kann nur mit Führung besichtigt werden, aber die starten laut Broschüre aus der Tourist Information regelmäßig jeden Tag (!), und zwar um 9.30, 11.30, 14, 16, 18 und 20 Uhr (und sogar noch später). Die Führungen sind auf Englisch und tatsächlich völlig kostenlos.

Mehr Apulien mit Familie auf family4travel

Eine Woche lang haben wir in Apulien verbracht, ganz im Süden Italiens.  Und das waren unsere Ausflugsziele:

Übrigens: Als ich diesen Beitrag schrieb, hätte ich nie damit gerechnet, dass ausgerechnet unser simpler Erfahrungsbericht aus Taranto so oft gelesen werden würde. Tatsächlich aber taucht er regelmäßig in den täglichen Top Ten der meistgelesenen Blogbeiträge auf family4travel auf. Deshalb ist dieser Text nun Teil der Blogparade bei FrauSchweizer: Zeig mir deinen einfachsten und doch so tollen Blogbeitrag.