In den vergangenen zwölf Stunden haben wir vor allem eins gelernt: Couchsurfing bei Steven und Lucile ist schlicht großartig!

Die beiden wohnen in einer der Plattenbauten, die das Linkeroever dominieren. Diese hier ist ein Schmuckstück aus dem Jahr 1965, was dem ganzen schon ein gutes Stück Vintage-Charm verleiht. Es gibt einen Lift, aber der ist abenteuerlich: Wie bei einem Paternoster trennt keine Tür die Kabine von den vorbeiziehenden Fußböden. In den Etagen gibt es zum Glück schon jeweils eine Tür vorm Fahrstuhlschacht, die sich auch nur öffnen lässt, wenn die Kabine bereit steht. Die Kinder sind natürlich extrem fasziniert von diesem ungewöhnlichen Fahrstuhl und behalten Antwerpen als Stadt der merkwürdigen Transportwege in Erinnerung.

Our first couchsurfer's home: a gem of a pre-fab tower block from 1965.

Altbau aus 1965.

Nachdem wir diese Herausforderung bewältigt hatten und im sechsten Stock angekommen waren, hießen uns Steven und Lucile willkommen. Die beiden sind etwas jünger als wir. Er arbeitet als Elektro-Irgendwas (Martin unterhielt sich angeregt mit ihm über den Job, aber mein Hirn schaltet bei zu vielen Technik-Vokabeln immer automatisch ab). Sie studiert in Lüttich auf Lehramt und wohnt nur am Wochenende bei ihrem Freund.

Natürlich haben wir nicht daran gedacht, eine extra Tasche mit dem Nötigsten für diese eine Übernachtung zu packen, und so erwecken wir mit unserem Gepäck den Eindruck, als wollen wir einziehen. Wir haben auch alles dabei, um Käsespätzle zu kochen. Als wir dies ankündigen, winkt Lucile ab. „Nett, dass ihr das anbietet. Aber ich hab schon was eingekauft. Ihr seid eingeladen!“ Steven und Lucile erweisen sich als außerordentlich großzügige Hosts. Sie haben für uns gekocht, schenken Wein aus, sorgen für Nachtisch und Knabbereien und haben auch heute Morgen nicht zugelassen, dass wir einen Beitrag zum Frühstück leisten. Couchsurfing ist für sie eine Art Hobby und eine wahre Leidenschaft. In einer Stadt wie Antwerpen sind Touristen niemals Mangelware, und Steven wird mit Couchsurfing-Anfragen bombardiert. Trotzdem vergeht jetzt im Sommer kein Tag, an dem sein Gästezimmer leer steht.

In der Glasschüssel auf dem Wohnzimmertisch stapeln sich Süßigkeiten mit kyrillischer Aufschrift. „Wir hatten letzte Woche Couchsurfer aus Russland und der Ukraine hier“, erklärt Steven, als er meinen interessierten Blick bemerkt. „Greif zu! Jeder bringt etwas mit, und ich finde nie die Zeit, irgendwas zu essen.“

Heute Morgen hat uns Steven dann mit umfangreichem Kartenmaterial über Antwerpen ausgestattet. Sogar seine U-Bahn-Karte bietet er uns an. Wir haben ihm nur eine Flasche Weißwein und ein Gläschen selbstgekochte Marmelade mitgebracht und fühlen uns schon reichlich schmarotzerisch. Steven winkt ab. „Ich mag es einfach, Leute hier zu haben. Es ist immer noch günstiger, als selbst zu verreisen. Und es ist so viel bequemer!“ sagt er und lacht. Fast jede Nacht beherbergt er Fremde, aber er selbst hat Couchsurfing unterwegs noch nie benutzt. Wenn, dann mache er lieber „richtig Urlaub“, erklärt er, oder er besucht Freunde. In Dresden zum Beispiel, da sei er öfters. Spätestens wenn irgendwann Kinder da sind und die Strecke zu lang wird, um sie in eins durch zu fahren, wollen sie bei uns mal einen Zwischenstopp einlegen, versprechen uns die beiden. Es ist das erste Mal, dass sie eine Familie beherbergen, und die Jungs benehmen sich so einwandfrei, dass sie durchaus Werbung für konkrete Familienplanung machen.

Eine Frage, die die beiden vorher noch klären müssen, ist, in welcher Sprache sie ihre Kinder aufziehen möchten. Lucile stammt aus Lüttich – bzw. Liège, denn dort wird französisch gesprochen. Steven kommt hier aus der Gegend, aus dem flämischen Teil Belgiens. Die Muttersprache des Partners verstehen beide so halbwegs, nehmen sie aber als Fremdsprache wahr. Im Alltag sprechen sie Englisch miteinander, um eine neutrale Grundlage zu haben.

– Jetzt hab ich mich von den interessanten Menschen in meiner Umgebung wieder so ablenken lassen, dass ich den schnöden Tatsachenbericht völlig außer Acht gelassen habe. Wir aßen also zu Abend (Gyros mit Kroketten, Salat und Radieschenmäusen extra für die Jungs). Dann brachten wir die Jungs ins Bett, die im Gästezimmer schliefen, und spielten danach lange ein großartiges Brettspiel, da wir eine gemeine Faszination für Terry Pratchetts Scheibenwelt entdeckt hatten.

Steven and his girl-friend Lucile are great couchsurfing hosts. We had a wonderful evening with this excellent board-game.

Steven und seine Freundin Lucile waren super!

Die Nacht verbrachten Martin und ich auf der sehr bequemen Couch im Wohnzimmer. Jetzt haben wir zusammengepackt (na ja, Martin hat gepackt, ich hab geschrieben…), und ab geht es noch einmal in die hübsche Innenstadt Antwerpens.

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 11. August 2013 verfasst.

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