Nach dem Debakel im British Museum war ein halber Tag noch übrig. Lohnt es sich da noch, mit dem Sightseeing anzufangen? Eigentlich hatten wir zwei Tage für London eingeplant: einen fürs British Museum, einen für Big Ben und Co. Na ja, sagten wir uns, wir sehen mal, wie weit wir kommen. Und siehe da: Es wurde ein anstrengender, aber wunderschöner Tag.
Mit unseren Tagespässen für den öffentlichen Nahverkehr konnten wir alle Busse und die Tube nach Herzenslust benutzen. Die beste Verbindung ausfindig zu machen, erfordert mitunter aber ein bisschen Fummelei. Das British Museum ist nicht gerade hervorragend mit den Sehenswürdigkeiten der Innenstadt verbunden. Nach einiger Überlegung entschieden wir uns, mit der Bahn von der nächstgelegenen Underground-Station Russel Square nach King’s Cross zu fahren. Das ist zwar genau die entgegen gesetzte Richtung zum Zentrum, aber von dort aus gibt es dann direkte Verbindungen zum Tower. Außerdem hatten wir gerade die ersten beiden Bände von Harry Potter als Gute-Nacht-Geschichte durchgelesen, und die Jungs wollten zu gern einen Blick auf diesen Bahnhof werfen. Der Hogwarts-Express fährt zwar erst in zwei Wochen (immer am 1. September) wie Janis uns erinnerte, aber man weiß ja nie… Vielleicht würden wir ja doch auf Gleis 9 ¾ landen.
Wir folgten also der Beschilderung zu den British-Railway-Gleisen und betraten die verglaste Bahnhofsvorhalle. Ich dachte daran, die leere Wand zwischen Gleis neun und zehn zu fotografieren. Zwischen Belustigung und Fassungslosigkeit schwankend entdeckten wir jedoch ein großes Schild mit der Aufschrift „platform 9 ¾“. Darunter sahen wir einen Gepäckwagen, beladen mit einem riesigen Schrankkoffer und einem leeren Eulenkäfig, den eine junge Asiatin mit Gryffindor-Schal bereits halb durch die solide Backsteinwand gedrückt hatte. Es blitzte. Das Mädchen ließ den Gepäckwagen los, gab den Schal einem wartenden Angestellten und machte Platz für einen beleibten Mitteleuropäer. Der entschied sich für den Schal in den Farben des Hauses Slytherin, bevor auch er an den Wagen trat, um sich von seinen kichernden Freunden fotografieren zu lassen. Hinter ihm warteten mindestens 30 Personen: Kinder, Jugendliche, seriös und weniger seriös anmutende Erwachsene aller Altersstufen. Ich fragte die Jungs, ob sie sich anstellen wollten. „Pff, das ist ja gar nicht echt“, maulte Silas. „Ich warte doch da nicht studenlang, nur damit ich einen durchgesägten Einkaufswagen anfassen darf, der an die Wand geschraubt ist“, ergänzte Janis. Manchmal sind meine Jungs schon ganz schön desillusionierend…
Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 12. August 2013 verfasst. Hier geht es weiter mit dem Sightseeing in London. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis.
Hinterlasse einen Kommentar