Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven ist mehr als ein Museum. Die interaktive Ausstellung rund um Auswanderung und Einwanderung verfolgt ein spannendes Konzept, das die Besucher emotional berühren will. Hier erzählen wir, wie das bei uns geklappt hat, was genau wir erlebt haben – und ob wir es empfehlen können, mit Kindern ins Auswandererhaus zu gehen.

Dieser Artikel gehört zu unserer dreiteiligen Mini-Serie Bremerhaven mit Kindern.

Mit Kindern ins Auswandererhaus

Um kurz vor halb elf reihen wir uns in die Schlange am Ticketschalter. An einem regnerischen Samstagvormittag ist es natürlich voll. Trotzdem wollen wir unseren Besuch auskosten. Als wir das erste und bisher letzte Mal hier waren, waren unsere Jungs im Kindergartenalter noch ein bisschen klein. Inzwischen fast elf und 13 Jahre alt, haben sie mehr Verständnis dafür, was es heißt, seine Heimat für immer verlassen zu müssen.

Am Ticketschalter bekommen wir unsere neue Identität. Ich werde zu Hertha Nathorff, einer jüdischen Ärztin, die 1939 auf den letzten Drücker in die USA emigrieren kann. Janis schlüpft in die Rolle von Manfred Schnetzer, der in den 1950er Jahren als Technischer Zeichner sein Glück in Amerika machen will. Silas wird zu Paul Lemke, einem Schneidermeister, der ein Stellenangebot vom König von Hawaii erhält. Und Martin befasst sich mit einem Herrn, dessen Namen ich mir nicht aufgeschrieben habe, der aber schon im 18. Jahrhundert sein Heimatland verlässt.

Was genau unsere Charaktere erleben, können wir auf unserem Weg durch die Ausstellung herausfinden. Mit unserer Bordkarte starten wir Hörstationen, die uns mehr über die verschiedenen Wegpunkte der realen Biographien verraten.

Tolle Kulissen und dichte Atmosphäre

Zunächst geraten wir in eine Abschiedsszene an der Kaje. Meterhoch ragt die Bordwand eines Auswandererschiffs vor uns auf. Am Kai stehen Angehörige und winken. Wir mischen uns unter sie und die vielen anderen Besucher. Was für eine Kulisse! Leider ist es so laut, dass ich von den ersten Hörstationen nicht viel mitkriege.

Mit Kindern ins Auswandererhaus Bremerhaven, Hörstation

Ein Moment, in dem ich mich auch mal getraut habe, ein Foto zu machen, weil mich grad niemand von hinten schob: Janis und Silas an den Hörstationen in der „Galerie der sieben Millionen“.

In der „Galerie der sieben Millionen“ wird es besser. Hier halten wir uns altmodische Telefonhörer ans Ohr. Nicht nur die Ausgangsgeschichte „unserer“ Person können wir so erfahren, auch die der anderen, in deren Rolle wir nicht geschlüpft sind. Mit Blick auf den Hafen draußen können wir außerdem geschichtliche Hintergründe über die verschiedenen zeitlichen Auswandererwellen anhören. Auch hier werden wir aber von Besuchermassen geschoben. Ich leiste im Stillen einen Schwur: Nie wieder Auswandererhaus an einem Samstag!

Wir werden selbst zu Auswanderern

Unsere Reise geht weiter. Wir besteigen das Kulissenschiff und stehen in einem Raum mit etlichen Schiffsmodellen. Von hier geht es weiter in Nachbauten der Schiffskajüten. Wir lernen: Im Vergleich zu der katastrophalen Enge des 18. Jahrhunderts ging es 1887 in der dritten Klasse schon wesentlich zumutbarer zu, aber mit 18 Personen Koje an Koje zu schlafen, entspricht immer noch nicht unserer Vorstellung einer entspannten Seereise. In der ersten Klasse ging es freilich mondäner zu, aber da dürfen wir nur durch kleine Gucklöcher hineinspähen. Wir gehören halt zum Pöbel.

Mit Kindern ins Auswandererhaus Bremerhaven, Schiffsnachbau

Auswandern 1887. Immerhin: Jeder hat schon seine eigene Koje.

Bei unserer Ankunft auf Ellis Island müssen wir zittern, ob wir tatsächlich bleiben dürfen. Dann steigen wir hinab in den Bahnhof Central Station, geblendet vom marmornen Glanz der Neuen Welt. Hier erfahren wir das Ende unserer geborgten Biographie. Hertha Nathorff beginnt mit Mann und Sohn ein neues Leben, darf aber nie wieder als Ärztin arbeiten. Die Frau, die im Berlin der 1920er Jahre ein Kinderkrankenhaus in Berlin leitete, beendet ihr Berufsleben als Sprechstundenhilfe (aber immerhin in Sicherheit).

Wir verwandeln uns in Einwanderer

Während ich noch an der emotional vermittelten Geschichte „meiner“ Auswanderin knabbere, geraten wir schon ins nächste Schicksal. Nach der Auswanderung kommt nämlich die Einwanderung. An einem Kiosk, das direkt den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu entstammen scheint, erhalten wir Informationen über unsere neue Rolle.

Mit Kindern ins Auswandererhaus Bremerhaven, Einwanderung Eisdiele

Für Ältere werden Erinnerungen wach: Hörstation an der „Eisdiele“ im neuen Bereich der Einwanderung.

Diesmal bin ich Jeanne Greber, deren Leben sich zwischen deutscher und französischer Grenze im Saarland abspielt.

Die Jungs haben inzwischen nicht mehr die rechte Lust, ihre neue Geschichte zu verfolgen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist durch. Mir geht es nicht sehr viel besser. Also genieße ich hauptsächlich die wieder mit unglaublich viel Liebe zum Detail errichtete Kulisse eines 70er-Jahre-Einkaufszentrums, spaziere durch ein linksalternatives Antiquariat und einen Friseursalon.

Ich kenne ein Ausstellungsstück im Museum!

Stutzig werde ich, als ich auf einer Landkarte, die die neuen Wohnorte der Einwanderer zeigt, einen roten Punkt ziemlich genau bei uns im Schaumburger Land entdecke. Ich höre mir die entsprechende Geschichte an, und staune: Katharina Schmück, Spätaussiedlerin und in Russland geboren, kenne ich persönlich! In meinem ersten Praktikum bei den Schaumburger Nachrichten habe ich sie kennengelernt, als sie die Redaktion wegen einer Integrationshilfe-Veranstaltung besuchte. Ihr Engagement in dieser Hinsicht wird in der Hör-Geschichte erwähnt, ebenso wie ihr Sohn Arthur, mit dem meine Schwester zwei Jahre lang zur Schule gegangen ist. Verrückt, dass ich erst ins Auswandererhaus Bremerhaven fahren muss, um zu erfahren, dass aus ihm ein Maschinenbau-Ingenieur geworden ist.

Einen besseren Beweis dafür, dass das Museum wirklich Geschichten aus dem echten Leben erzählt, gibt es nicht.

Unser Fazit zum Auswandererhaus

Wie schon beim ersten Mal ziehen Martin und ich ein unterschiedliches Fazit. Beide finden wir das Erlebnis toll. Meinem Mann aber bleiben zusammenhängende Fakten zu sehr auf der Strecke. Er vermisst einen Gesamtüberblick und die Vermittlung der vollen historischen Breitseite.

Ich kann seine Kritik nachvollziehen, bin aber sehr begeistert vom emotionalen Ansatz der Geschichtsvermittlung. Dadurch, dass wir reale Schicksale zugeordnet bekommen, baut sich eine echte Nähe zu den historischen Fakten auf, finde ich. Klar, es sind nur Schlaglichter. 1939 waren die Bedingungen ganz andere als 1887. Wer genügend Zeit mitbringt, kann aber das Schicksal „seines“ Auswanderers durch Vergleiche gut in Beziehung zu den anderen setzen.

Ein Kritikpunkt, den wir beide teilen: Das Auswandererhaus ist nicht für die Besuchermassen eines Samstagvormittags gebaut. Bei so vielen Menschen ist ein entspanntes Stöbern und Rezipieren nicht möglich. Um wirklich Wissen aus der Ausstellung ziehen zu können, und mehr als nur die aufwändigen (und so toll gestalteten!) Kulissen zu bewundern, muss man überall Schubladen öffnen, vor Gucklöchern und Hörstationen in engen Gängen stehenbleiben. Wenn von hinten unnachgiebig die nächste Reisegruppe schiebt, ist das ein grenzwertiger Spaß.

Mit Kindern ins Auswandererhaus, Hannover in den USA

Janis zumindest macht jedes Museum glücklich, in dem er Knöpfe drücken kann. Die roten Punkte zeigen ihm, wo in den Vereinigten Staaten neue Städte mit dem alten Namen Hannover gegründet wurden.

Die Jungs ringen sich ein „geht so“ und ein „ganz gut“ ab. Das ist ein bisschen ungerecht, finde ich, aber was will man von zwei (prä-)pubertären Bengeln erwarten? Hätten wir sie nicht immer wieder gezwungen, wenigstens „ihre“ Hörstationen zu verfolgen, hätten sie die Ausstellung vermutlich innerhalb einer halben Stunde „durchgespielt“.

So haben wir gut drei Stunden im Auswandererhaus verbracht. Diese Zeit hat gereicht, „unsere“ Schicksale zu verfolgen und uns jeden Raum anzusehen. Trotzdem haben wir nur einen Bruchteil der verfügbaren Informationen gelesen und gehört.

Unsere subjektive Altersempfehlung fürs Auswandererhaus

Als völlig subjektive Empfehlung fürs Auswandererhaus würde ich ein Mindestalter von acht Jahren angeben.

Auch kleinere Kinder haben sicher schon Spaß. Unseren hat es im Kindegartenalter damals ganz gut gefallen, aber sie waren doch sehr schnell durch, so dass wir Eltern weniger Gelegenheit hatten, uns die spannenden Geschichten anzuhören. Damals waren wir sehr viel damit beschäftigt, ihnen anhand der Ausstellungskulissen selbst die Zusammenhänge zu vermitteln.

Im Teeny-Alter jetzt können wir zwar schon Eigenständigkeit verlangen, dafür lässt das Interesse schon wieder ein bisschen nach. Es gehört einiges dazu, Anreize zum Aufpassen zu schaffen (wir regeln das ganz herzlos und pädagogisch fragwürdig über die „Kuchenberechtigung“: Wer nachher im Café ein Stück Kuchen haben will, muss vorher fünf Fakten nennen, die er im Museum gelernt hat).

Der Familien-Effekt

Als wir abends beim Essen zusammensitzen, erzählen wir uns gegenseitig von „unseren“ Auswanderer-Geschichten. Und das wiederum ist ein ganz, ganz tolles Erlebnis, denn wie sich herausstellt, haben wir durch die verschiedenen Biographien alle einen individuellen Zugang zum Thema erhalten. Wir berichten uns von den Schwierigkeiten, mit denen „wir“ zu kämpfen hatten, vergleichen, hinterfragen. Und merken: Doch, da tut sich wirklich noch mal was in unserem Auswanderer-Bild.

Als Ausflugsziel ist das Auswandererhaus Bremerhaven mit Kindern also durchaus eine hervorragende Sache – aber möglichst nicht zur Stoßzeit (also dann, wenn man mit Kindern Zeit hat…), und möglichst mit entsprechender Begleitung und Nachbereitung.

Praktische Infos für den Besuch im Auswandererhaus Bremerhaven

Öffnungszeiten: Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven hat täglich von 10 bis 18 Uhr (von November bis Februar nur bis 17 Uhr) geöffnet.

Eintrittspreise: Eine Familienkarte (2+x) kostet 38 Euro, eine Single-Familienkarte (1+x) 25 Euro. Einzeln zahlen Erwachsene 14,50 Euro, Kinder von fünf bis 16 Jahre 8,80 Euro.

Auswandererhaus oder Klimahaus? Wer sich aus Zeitgründen entscheiden muss, ob man lieber ins Auswandererhaus oder ins Klimahaus gehen soll, dem empfehle ich, ehrlich gesagt, ganz unbedingt das Klimahaus – mit Kindern sowieso, aber auch ohne. Wer aber genügend Zeit hat (und Geld für beides, denn das Klimahaus ist noch mal eine Schippe teurer), sollte sich auch das Auswandererhaus nicht entgehen lassen. Diese beiden „Großen“ sind wirklich etwas Besonderes (aber Achtung: Klimahaus und Auswandererhaus an einem Tag funktioniert nicht, zumindest wenn man beiden Häusern annähernd angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringen möchte).

Mehr Informationen gibt es auf der Webseite des Auswandererhauses.

Transparenzhinweis: Unser Besuch im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven war Teil einer individuellen Reiseblogger-Recherchereise und damit für uns kostenlos. Unsere Meinung beeinflusst dieser Fakt nicht.