Wir sind in Jena, und wer in Jena ist, der muss ins Planetarium. Das zweitgrößte Europas ist es (nach dem in Moskau), das viertälteste der Welt (nach denen in Wuppertal-Barmen, Leipzig und Düsseldorf, die es aber alle schon nicht mehr gibt), seit 1926 in Betrieb und überhaupt: Karl Zeiss und so. Ich zücke mein Handy, schmeiße die Suchmaschine an und weiß wenig später, dass der bei Ortsansässigen und besser Gebildeten wohlbekannte Herr im 19. Jahrhundert Präzisionsmikroskope produzierte und eine Firma schuf, die sich ab 1913 der Entwicklung eines Planetariumsprojektors widmete. Also gut, gerne: Wir gehen ins Planetarium.

Bisher bin ich nur ein einziges Mal in einem solchen Etablissement gewesen, und an diesen Besuch erinnere ich mich gut. Ich war zehn, ging in die vierte Klasse, und wir fuhren auf Klassenfahrt ins Ruhrgebiet. Auf den Ausflug nach Bochum ins Planetarium freute ich mich am meisten. Obwohl ich gar nicht so recht wusste, was das war. Als wir es uns alle auf den merkwürdigen Liegesesseln bequem gemacht hatten, wartete ich die ganze Zeit darauf, dass die Kuppel über uns sich öffnen und wir in den Sternenhimmel würden schauen können. Dass stattdessen lausige Lichtpunkte an die Decke projiziert wurden, empfand ich als glatten Betrug. Trotzdem lernte ich dort die Reihenfolge der Planeten unseres Sonnensystems, die ich heute noch auswendig kann.

Auf dem Weg ins Zeiss-Planetarium Jena vermittele ich meinen Jungs also genau, was sie erwartet. „Das ist wie Kino, nur dass die Leinwand oben an der Decke ist“, sage ich. Janis sieht mich skeptisch an, und Silas runzelt die Stirn. Ich denke kurz nach und mir fällt ein, dass mein Sechsjähriger noch nie in seinem Leben im Kino war. Das liegt vor allem daran, dass mein bisher einziger Besuch dort mit seinem großen Bruder vor einigen Jahren auf dessen inständigen Wunsch hin schon nach wenigen Minuten endete. Oha, das kann ja was werden. Aber das Programm, das wir uns ausgesucht haben, heißt: „Entdecker des Himmels. Von Stonehenge zur Raumstation“. Mit Stonehenge können sie was anfangen, da waren wir neulich erst. Und Raumstation zieht bei Jungs im Grundschulalter doch immer, oder?

Es ist Sonntag, und der Parkplatz direkt vor der Tür des Kuppelbaus ist nicht nur frei, sondern auch noch kostenlos. Perfekt. Die Jungs springen aufgeregt die Stufen hinauf und zappeln beim Schlangestehen entsetzlich. Der eine piekt dem anderen in die Seite, der andere haut dem einen auf die Rübe, der eine brüllt. „Da drin müsst ihr aber still sein!“ zische ich. „Sonst gehen wir sofort wieder raus“, füge ich hinzu und sehe schon vor mir, wie sich das Desaster von Janis’ erstem Kinobesuch wiederholt.

Die Vorstellung ist nicht ausgebucht, und so bleiben wir dankenswerterweise in unserer Sitzreihe unter uns. Es gibt extra ausgewiesene Familienprogramme, aber unser Zeitfenster ist nicht groß, und so haben wir ein „Bildungsprogramm“ erwischt. Hier drücken selbst Martin und ich den Altersdurchschnitt noch nach unten. Das einzige andere Kind, das ich beim Hereinkommen sehe, setzt sich brav und wohlerzogen neben seine Mutter und gibt keinen Laut von sich. Neben mir erprobt Janis, wie oft er den Sitz quietschend runterklappen und scheppernd hochschnappen lassen kann, bevor ich die Geduld verliere. Er ist nahe daran, es herauszufinden, als die Vorstellung endlich beginnt. Der außerirdisch anmutende Projektor kommt in Bewegung, surrt und dreht sich. Ein junger Mann mit Dreadlocks nimmt ein Mikrofon in die Hand und erklärt uns die Technik, die uns den kommenden Filmgenuss ermöglicht.

This thing that looks like a UFO can precisely project thousands of stars into the dome of the planetarium.

Der Projektor könnte auch ein UFO sein…

Dann wird es dunkel, und buchstäblich tausende von Sternen erstrahlen. Die Jungs, inzwischen getrennt durch zwei erwachsene Puffer, schauen andächtig in die Kuppel. 900 Quadratmeter Leinwand sind das da oben, 23 Meter im Durchmesser. Der Projektor zeigt uns den Sternenhimmel so, wie wir ihn in der freien Wildbahn kaum je zu sehen kriegen: ohne Wolken, ohne Streulicht, exakt und präzise. Die Darstellungen der Planetenkonstellationen wechseln sich ab mit Film-Sequenzen und Einspielern von Besucher-Interviews. Das ist wie ein guter Dokumentarfilm auf einem gigantischen Fernsehschirm. Nur besser, denn das Sound-System ist klasse, und auch die Bilder wirken irgendwie krass dreidimensional. Wir folgen den Entdeckungen der Himmelsforscher von der Antike über die großen Pioniere Kopernikus, Galilei und Co., fliegen mit Neil Armstrong auf den Mond und tauchen in die unvorstellbare Hitze der Sonne ein. Die Jungs sind völlig in den Bann gezogen. Aber völlig ruhig sind sie nicht. „Ah, da ist der Fersenstein, an den kann ich mich noch erinnern!“ kräht Janis aufgeregt, als der Filmsprecher die Ausrichtung von Stonehenge auf den Sonnenaufgang am Mittsommertag erklärt. Als Barack Obama verkündet, dass es bis spätestens 2030 bemannte Flüge zum Mars geben werde, bölkt Silas entzückt: „Da fliege ich mit!“ Aber ansonsten benehmen sie sich, zum Glück, und als eineinhalb Stunden später das Licht wieder angeht, strahlt Janis mich an und sagt: „Das war toll!“

Auch mir hat die Vorstellung richtig gut gefallen. Ich habe einiges gelernt, und ein astreines Erlebnis war das obendrein. Mit Kino nicht zu vergleichen!

Übrigens: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto. Warum ich die Reihenfolge der Planeten immer noch auswendig kann? Weil uns der Erklärer damals den Merkspruch beigebracht hat: „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.“ Da es deren nach Plutos unwürdigem Abgang aus der elitären Riege seit einiger Zeit nur noch acht sind, lautet die Eselsbrücke heutzutage: „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere Nachbarplaneten.“ Und? Gemerkt?

Das Zeiss-Planetarium Jena hat derzeit acht verschiedene Bildungsprogramme („Dokumentarfilme“) im Angebot und ebenso viele Familienprogramme, die teilweise schon  für Kinder ab fünf Jahren geeignet sind. Die Familienkarte kostet 25 Euro.

Wer auf den Geschmack gekommen ist, aber in nächster Zeit keinen Besuch in Jena plant, kann hier alle Standorte der rund 100 Planetarien in Deutschland erfahren.

Unabhängig davon, wohin die Reise in diesem Theater sonst gerade geht – dienstags ist Deutschland dran. An diesem Tag berichte ich von Kurztripps, Ausflügen und Urlaubsreisen in unserem eigenen Heimatland, entweder ganz aktuell oder rückblickend aus der jüngeren Vergangenheit.

PS: Diesen Artikel adelige ich nachträglich zum Beitrag der Blog-Parade zum Thema Urlaubs-Tipps bei kidsaway.de.