Tartu ist die zweitgrößte Stadt in Estland. 2024 war sie Europäische Kulturhauptstadt. Auf unserem →Roadtrip durchs Baltikum mit Kind haben wir hier einen wunderbaren Tag verbracht. Welche Sehenswürdigkeiten Tartu für Familien bietet und was ihr auch mit Kindern keinesfalls verpassen solltet, verrate ich euch in unserem Erfahrungsbericht.

Unser Tag in Tartu mit Kind

Wir selbst bereisen Tartu als Familie im September 2024. Mit dabei ist unsere gerade fünf Jahre alt gewordene Tochter Franka. Da wir aus organisatorischen Gründen diesmal leider nur zwei Wochen für unseren →Roadtrip durchs Baltikum haben, kriegt Tartu nur einen einzigen Tag davon ab. Das ist machbar, denn allzu riesig ist die Stadt nicht. Schön ist sie aber! Es wäre absolut kein Problem, hier ein ganzes Wochenende oder mehrere Tage zu verbringen.

tartu mit kind gulli

Mutter, Vater, Kind in Tartu.

Für uns geht der Tagesausflug klar, denn wir kennen Tartu schon von einem vorherigen Besuch. 2012 sind wir schon einmal da gewesen, auf unserer ersten Rundreise durchs Baltikum. Obwohl wir da unsere inzwischen großen Jungs dabei hatten, haben wir in Tartu damals keine Erfahrungen mit Kindern gemacht. Die lagen nämlich krank in der Unterkunft, während Martin und ich uns abwechselnd einmal kurz die schöne Stadt angesehen haben. Auch so eine Urlaubserfahrung, die ich damals genauestens dokumentiert habe. Aus nostalgischen Gründen lasse ich den alten Bericht am Ende dieses Beitrags stehen. (Sehr interessant übrigens, wie viel und wie wenig sich in zwölf Jahren so getan hat – nicht nur in Tartu, sondern im gesamten Baltikum.)

tartu innenstadt buggy

Wer in Tartu mit Kindern im Buggy unterwegs ist, kommt klar. Die Stadt ist gut geeignet für den Kinderwagen.

Ach, und wenn ihr statt viel zu lesen lieber bildgewaltige „Live“-Eindrücke sehen wollt, schaut unbedingt in mein →Instagram-Profil family4travel! Dort findet ihr (nach einigem Wischen) unser Estland-Highlight. In der dort konservierten Story folgt auf unseren Zwischenstopp in →Tallinn unser Besuch in Tartu.

Sehenswürdigkeiten von Tartu

Dieser Blogbeitrag soll euch bei der Planung eurer eigenen Reise nach Tartu mit Kindern helfen. Nur um zu erfahren, welche Sehenswürdigkeiten ihr dabei keinesfalls auslassen dürft, braucht ihr im Jahr 2025 aber kein Reiseblog mehr. Da fragt ihr entweder ChatGPT (und kriegt teils bekloppte Ergebnisse, die bei TripAdvisor abgeschrieben sind), oder ihr schaut ganz klassisch in einen Reiseführer. Letzteres empfehle ich euch übrigens durchaus, so oder so.

tartu marktplatz

In ihrer Rolle als europäische Kulturhauptstadt zeigte sich Tartu 2024 besonders herausgeputzt.

Im Folgenden liste ich zwar einerseits brav die üblichen Sehenswürdigkeiten von Tartu, die ihr auch mit Kindern anschauen solltet. Vor allem aber gebe ich euch ein paar zusätzliche Tipps aus Familiensicht. Die stehen so in keinem Reiseführer (solange es keinen aus dem →Naturzeit-Verlag gibt, wie für →Schottland und →Irland – aber leider ist der Markt für Estland echt zu klein). Und ganz bestimmt nicht bei ChatGPT.

tartu villenviertel holzhäuser

Tartu in der „Suppenstadt“, wo alte Holzhäuser dominieren.

Altstadt und Marktplatz

Das absolute Minimalprogramm in Tartu ist ein Bummel durch die historische Altstadt. Ausgangspunkt ist der schicke Marktplatz mit dem berühmten Brunnen der küssenden Studenten. (Der müsste im Zeitalter des überwundenen generischen Maskulins auf Deutsch wohl umbenannt werden, denn allem Anschein nach küssen sich Mann und Frau.) Für Kinder ist hier jedenfalls jede Menge Platz zum Herumtoben. Im rosaroten Rathaus ist auch die Tourist Information untergebracht. Außergewöhnlich guten Kaffee gibt es nebenan im Karlova Kohv. Das „schiefe Haus“, das das Kunstmuseum beherbergt, fasziniert auch Kinder.

tartu mit kindern brunnen

Der Marktplatz von Tartu mit dem berühmten Brunnen bietet Kindern viel Platz zum Toben.

Johanniskirche

Eine Sehenswürdigkeit von kunsthistorischer Bedeutung ist die Johanniskirche. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert, was für ein Gotteshaus nach estnischen Verhältnissen ziemlich alt ist. Die Terrakottafiguren über dem Eingangsportal sind etwas Besonderes, auch wenn sie „erst“ im 19. Jahrhundert hinzugefügt wurden. Während die meisten Nischen über der Tür heute leer sind, sind die vielen kleinen Köpfe in dem Fries darüber alle noch da. Jeder davon ist ein individuell ausgestaltetes Unikat. Wenn ihr ein Fernglas dabei habt, könnt ihr mit euren Kindern diesbezüglich auf Entdeckungsreise gehen.

(Wenn ihr kunsthistorisch genauso wenig bewandert seid wie ich, wird es aber wohl auch reichen, einen Blick darauf zu werfen und kurz wissend zu nicken. Ach so, fotografieren dürft ihr natürlich nicht vergessen, um dem touristischen Protokoll Genüge zu tun.)

Johanniskirche Tartu Figurenfries

Von unten ist das Wunder gar nicht so gut zu erkennen.

Universität Tartu

Ähnlich verhält es sich mit der Universität. Sie ist die älteste im gesamten Baltikum und verdient deshalb unsere touristische Anerkennung. Wenigstens einmal kurz. Schließlich verdankt Tartu ihr auch das junge Durchschnittsalter und damit verbunden das studentische Flair, das in der ganzen Stadt herrscht.

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Das Hauptgebäude der Universität. Wie vor allen öffentlichen Gebäuden weht 2024 auch die ukrainische Flagge aus Solidarität.

Auf dem Weg zu Engelsbrücke und Teufelsbrücke sowie zum Domberg liegt die Uni ohnehin auf dem Weg.

Engelsbrücke und Teufelsbrücke

Die beiden Wahrzeichen von Tartu spannen sich keineswegs über den Fluss Emajõgi. (Das behauptet ChatGPT nämlich, wenn man nach dazugehörigen Legenden fragt, die ihr euch stattdessen genauso gut selbst ausdenken könnt.) Beide überbrücken einen Taleinschnitt, eine tiefergelegene Straße.

Die Engelsbrücke liegt in direkter Nähe der Universität und stammt aus dem Jahr 1838. Die (hier auch nicht allzu aussagekräftige) Website von Visit Estonia erzählt von der Tradition, vor Betreten der Brücke tief einzuatmen und sich etwas zu wünschen, das dann in Erfüllung gehen soll. Der Name war wahrscheinlich ursprünglich gar nicht himmlisch gedacht, sondern wies geografisch-stilistisch nach England. Zur Zeit der Erbauung war der Domberg, deren Teile sie nun verband, im Stil eines englischen Landschaftsgartens gestaltet.

tartu engelsbrücke

Die Engelsbrücke in freundlichen Gelbtönen…

Die Teufelsbrücke ist noch ein ganzes Stück jünger. 1913 erbaute man sie anlässlich des 300. Jubiläums der Romanov-Dynastie. Estland gehörte zum Russischen Zarenreich – aber schon damals nicht gerne. Ob sie deshalb mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurde, ob es an der dunkleren Farbe lag, oder ob die nahegelegene Engelsbrücke einfach nach einem Gegenstück verlangte, ist ungewiss.

tartu teufelsbrücke

… die Teufelsbrücke dagegen schlichter und trister.

Domberg und Domruine

Unter der Engelsbrücke durch gelangt ihr auf den Domberg. Darauf steht die Ruine des Doms, der seit der Reformation verfällt. Ein Teil der gesicherten Überreste ist frei zugänglich. In den wuchtigen Türmen gibt es noch das Universitätsmuseum. Das hat durchaus einige Fans, ist mit Kindern aber wahrscheinlich kein absolutes Muss. (Wir waren nicht drin.)

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Malerisch.

Der Domberg ringsum ist ein netter Landschaftspark, in dem der Nachwuchs gut Dampf ablassen kann. Schon in grauer Vorzeit stand hier wohl eine Befestigungsanlage. Das war auch der Grund, warum nach der gewaltsamen Christianisierung die neue Herrschaft genau hier die große Kirche hinbauen musste.

Unterhalb des Dombergs liegt auch noch die Sternwarte aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Streetart in der „Suppenstadt“

Nach all diesen klassischen Sehenswürdigkeiten wird es Zeit, auch das moderne Tartu zu würdigen. Wir hatten richtig viel Spaß damit, auf der Suche nach Kunstwerken durch die Tartuer „Suppenstadt“ zu schlendern. Der nördliche Stadtteil Supilinn heißt so, weil die einzelnen Straßen alle nach verschiedenen Gemüsesorten benannt sind. Hier befinden sich nicht nur verwinkelte Gassen mit vielen alten, teils hübsch renovierten Holzhäusern. Dazwischen finden wir wie bei einer Ostereiersuche immer wieder großformatige Kunst an Gebäuden.

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Eine meiner liebsten Murals in Tartu.

Außerdem finden wir hier – dank Tipp unserer einheimischen Bekannten – das wunderbar „echte“ Café Anna Edasi. Hier gibt es hausgebackenen Kuchen, typisch estnische Gerichte zu Mittag und sogar eine kleine Spielecke für Kinder.

tartu cafe kuchen

Traditionelle Backwaren.

Nationalmuseum

Ein Highlight in Tartu, das ich mir leider bisher immer verkneifen musste, ist das Nationalmuseum. Über das schwärmt meine Reiseblogger-Kollegin Gudrun von Reisebloggerin.at ausführlich. Ihr Bericht ist der Grund, warum ich unbedingt noch ein drittes Mal nach Tartu möchte!

Highlights für Kinder in Tartu

Es folgen die Sehenswürdigkeiten, die Familien mit Kindern in Tartu wahrscheinlich viel mehr interessieren. Also, zumindest die Kinder. Wir selbst sind immer ein bisschen zurückhaltend mit den speziellen Kinder-Attraktionen im Urlaub. Schwimmbäder, →Tierparks und Indoorspielplätze gibt es schließlich auch zu Hause in Deutschland zur Genüge. Dafür brauchen wir unsere kostbare Reisezeit nicht opfern, denke ich mir immer.

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Unsere Streetart-Safari in Tartu hat unserer Tochter zum Beispiel auch richtig Spaß gemacht.

Meine Kinder denken allerdings mitunter anders. So versuchen wir wenigstens immer eine Balance zu halten zwischen dem, was uns Eltern interessiert (die Kultur) und dem, was den Kids Spaß macht. Meiner Erfahrung nach entwickeln auch Kinder durchaus Freude und Interesse an kulturellen und geschichtlichen Sehenswürdigkeiten und Wanderungen durch die Natur. Mit den Jahren habe ich aber eingesehen, dass es sich auch auszahlt, wenigstens ab und zu mal dem Nachwuchs eine Freude zu machen.

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Eltern und Kinder gleichwertig – so kann man die bekannte Plastik am Rande der Tartuer Altstadt auch interpretieren.

Meine Kinder waren allerdings zum Glück immer recht genügsam in dieser Beziehung und low budget schon mit Spielplätzen zufrieden. Entsprechend kann ich von den kostenpflichtigen Attraktionen leider nicht aus eigener Erfahrung berichten. (Mit Ausnahme des Tierparks Elistvere, und da ist unser Besuch verjährt.) Deshalb gebe ich euch jeweils den Link zur Website mit an, damit ihr selbst recherchieren könnt.

Der schönste Spielplatz in Tartu

Zu dem können wir allerdings etwas sagen! Das heißt, ob er wirklich der allerschönste Spielplatz in ganz Tartu ist, da gibt es sicherlich auch andere Meinungen. Es gibt auch noch den Annelinna Laste Mänguväljak im recht weit außerhalb gelegenen Mõisavahe Park mit Spielstraße und cooler Tunnelrutsche. Und den Tähtvere Spordipargi Mänguväljak nördlich des Stadtzentrums, der schon ein halber Ninjaparcours ist. Hat man erst gelernt, dass Mänguväljak das estnische Wort für Spielplatz ist, findet Google Maps auch noch zahlreiche andere tolle Orte für Kinder in Tartu. (Den im Forseliuse pargi zum Beispiel, der auf den Fotos sehr gut aussieht.)

Der Spielplatz in Tartu, den unser eigenes Kind als Nonplusultra erwählt hat, ist der sehr zentral gelegene im Keskpark. (Was wiederum, meinen grandiosen Estnisch-Kenntnissen zufolge – made by Google Translate – direkt Zentralpark heißt.) Das große Klettergerüst ist genau das Richtige für mutige Kinder im Vorschulalter. Franka hat vor allem die Kurvenrutsche geliebt.

tartu mit kindern spielplatz

Frankas liebster Ort in Tartu.

Wissenschaftsmuseum AHHAA

Naturwissenschaftliche Experimente, live aus dem Ei schlüpfende Küken und nicht zuletzt ein großer Lego-Tisch gehören zu den Highlights im nach eigenen Angaben größten Science Centre im gesamten Baltikum. Wer das →phaeno in →Wolfsburg oder das →Universum in Bremen kennt, hat wahrscheinlich eine recht gute Vorstellung von dem, was hier geboten wird. Mit 45 Euro Eintritt für Familien kein Schnäppchen, aber sicher ein vergnüglicher Tag in Tartu mit Kindern. Mehr Infos und Tickets gibt es direkt auf der Website.

phaeno wolfsburg mit kleinkind und teenager

Symbolbild aus dem phaeno Wolfsburg: Naturwissenschaften zum Anfassen faszinieren große und kleine Kinder.

Abenteuerpark Tartu

Fast direkt in Tartu gibt es einen Kletterpark mit acht verschiedenen Trails, der mit Kindern ganz bestimmt Spaß macht! Einige Parcours sind bis zu zwölf Metern hoch, andere direkt über der Erde. So können schon die Jüngsten ab drei Jahren mitklettern. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Attraktionen für Kinder und Erwachsene, von Trampolinen über Minigolf bis zum Ninja-Parcours. Highlight ist eine 300 Meter lange Zipline über das Tal. Wir waren nie da, aber das wäre definitiv sowohl was für unsere Teenager als auch für unser Klettermädchen. Website. (→Erfahrungsbericht aus dem Kletterpark in Schweden.)

verden kletterpark minigolf

Symbolbild aus dem Kletterpark in →Verden (übrigens auch eine tolle mittelgroße Stadt für einen →Städtetrip mit Kindern in Deutschland).

Tartuer Spielzeugmuseum

Hier gibt es nicht nur altes Spielzeug aus verschiedenen Epochen und Kulturen zu besichtigen. Vor allem dürfen Kinder (und Erwachsene) hier selbst spielen und im Bastelraum kreativ werden. Dauer- und Sonderausstellungen sind interaktiv aufgebaut. Zusätzlich gibt es das „Heim des Theaters“, ein Theaterhaus mit Aufführungen, einem Puppenmuseum und einem Kinderstudio. Die Website mit allen Infos zu Preisen und Öffnungszeiten gibt es sogar auf Deutsch.

Puppenmuseum Tallinn

Symbolfoto aus dem Puppenmuseum in →Tallinn.

Tierpark Elistvere

Etwa eine halbe Stunde Fahrtzeit nördlich von Tartu liegt der kleine Tierpark von Elistvere. Wir waren 2012 hier. Ich erinnere mich an einen Bären in einem relativ kleinen Gehege. Bestimmt hat sich seitdem in Sachen artgerechter Haltung etwas getan. Da ich selbst seitdem nicht dort war, garantiere ich für nichts. Hier ist der Link für eure eigene Recherche.

Tierpark Elistvere, Estland mit Kindern

So sah es 2012 im Tierpark Elistvere aus. Mein uralter (und leider nicht wirklich hilfreicher) Reisebericht von damals ist sogar noch online: →Elistvere, Palamuse und Kallaste.

Spieleland Vudila

Ebenfalls eine halbe Stunde Fahrzeit außerhalb von Tartu und gar nicht weit vom Tierpark entfernt befindet sich das Freibad am Kaiavere-See. Außer den Wasserbecken mit mehreren coolen Rutschen gibt es auch einen Spielplatz mit Trampolinen, Hüpfburgen, Niedrigseilparcours und einem kleinen Streichelzoo. Die Website zeigt auch kinderfreundliche Übernachtungsmöglichkeiten. Ich selbst war nie da, aber es sieht durchaus nach Kinderspaß aus (so „massentouristisch“, wie es in Estland nur wird). Website.

Familienurlaub im Schwarzwald, Feldberger Hof, wie tief ist das Schwimmbad

Symbolbild: Kinder lieben Wasser. (Das Bild stammt aus unserem →Urlaub im Allgäu. Es sieht immer ein bisschen so aus, als würde Silas gerade ertrinken, aber er testet nur aus, ob er noch rausguckt, wenn er mit dem Fuß den Boden berührt. Natürlich solltet ihr eure Kinder beim Baden immer beaufsichtigen, egal wo.)

Mehr Erfahrungen aus Tartu

Es folgt nun der oben schon angekündigte Eintrag meines Reisetagebuchs aus dem Jahr 2012. Für aktuellere Erfahrungen aus Tartu, Estland und dem Baltikum mit Kindern empfehle ich hier noch einmal meinen Reisebericht im Rundumschlag aus dem Jahr 2024: →Roadtrip durchs Baltikum mit Kind – Estland, Lettland, Litauen (und ein bisschen Finnland).

roadtrip durchs baltikum mit kind

Der ausführliche Reisebericht als Rundumschlag.

Authentischer Erfahrungsbericht aus Tartu 2012

→Das Virus scheint überstanden. Silas ging es gestern schon gut, Janis hatte einen Tag länger hohes Fieber. Glücklicherweise durften wir bei unseren Couchsurfing-Gastgebern noch eine zusätzliche Nacht bleiben. Unseren Besuch bei der Familie in Rapla haben wir dafür abgesagt, und wir werden einen Tag früher nach →Saaremaa fahren. Schade, aber in dem Fall besser so.

Estland, Tartu, Marktplatz 2012.

Marktplatz Tartu 2012.

Sightseeing in Tartu

Am Dienstag hat sich Martin alleine Tartu angesehen. Am Mittwoch haben wir getauscht: Er hat den Kinderdienst übernommen, und ich bin alleine in die zweitgrößte Stadt Estlands gefahren. Silas ging es schon ganz gut. Janis lag noch mit Fieber darnieder. Aber durch Silas’ Besserung war abzusehen, dass auch er auf dem aufsteigenden Ast sein musste. Trotzdem überkam mich ein Rabenmuttergefühl, als ich mich ins Auto setzte und einfach wegfuhr von meinen kranken Kindern. Aber was nutzt es, zu zweit tatenlos herumzusitzen, genesende Hände zu halten und dabei ein kulturelles Highlight des Urlaubs zu verpassen? Noch dazu waren unsere Gastgeber selbst unterwegs und bis zum Abend in ihrer Baptisten-Gemeinde beschäftigt.

Das schiefe Haus von Tartu.

Das schiefe Haus von Tartu, außerdem Kunstmuseum.

Ich fuhr also über die Schotterpiste, die sich irgendwann in eine Landstraße und schließlich in Stadtverkehr verwandelte. Tartu hat immerhin über 100.000 Einwohner. Dank meines Reiseführers fand ich den Weg vom Parkhaus in die Altstadt. Als ich dort ankam, war der estnische Sommer vorbei und der Himmel entließ einen Starkregenschauer auf Marktplatz und mich.

Ich suchte Zuflucht im nächstbesten Geschäft, das sich als Souvenirshop entpuppte. Wo ich schon mal hier war, beruhigte ich mein Rabenmutter-Gewissen, indem ich den Jungs Estland-T-Shirts kaufte.

Bücher und Bürgertummuseum

Als der Regen etwas nachließ, schlüpfte ich ein paar Türen weiter und landete in einem Antiquariat. Es ist durchaus ein bisschen dumm, mit seligem Grinsen durch ein kleines Souterrainlädchen zu tapsen, in dem sich bis unter die Decke Bücher in einer Sprache stapeln, die man nicht einmal ansatzweise versteht. Aber irgendwie kann ich nicht an gegen meine bibliophile Natur, und bestimmt eine halbe Stunde lang hatte ich einen Heidenspaß, immer wieder andere alte Schinken zur Hand zu nehmen. Ich weiß jetzt, dass der estnische Michel aus Lönneberga Rasmus heißt, und Madita Malinka.

Besonders angetan hatten es mir die landwirtschaftlichen Kalender aus den 30er und 40er Jahren. Ich hab immer halb erwartet, auch deutsche Literatur aus dieser Zeit zu finden. – Immerhin war Estland von 1941 bis 1943 von Deutschland besetzt, und davor spielten Sprache und Kultur der Baltendeutschen durchaus eine größere Rolle. In diesem Laden zumindest war aber alles estnisch. (Die einzigen Ausnahmen, die ich entdeckte, waren russisch.)

Als es nur noch nieselte, sah ich mir die Johanniskirche von außen an, die für ihre Terrakotta-Ziegel mit Figurengestalten bekannt ist.

Kurzentschlossen besuchte ich dann das „Museum des Bürgertums im 19. Jahrhundert“: ein kleines Häuschen, entsprechend eingerichtet, mit Geranien vor den Fenstern, wie ich es liebe. Da ich gerade die letzten Seiten „Stolz und Vorurteil“ durchgelesen hatte und mich mit Jane Austen sehr verbunden fühlte, war diese Wahl nur natürlich.

In the "Citizen's Home Museum" you can see how people lived in Tartu in the 19th century.

Im Museum.

Schließlich trat ich in den kleinen Kräutergarten hinaus und stellte verwundert fest, dass die Sonne zurückgekommen war. So schlug ich einen Bogen durch die Altstadt und warf einen Blick auf die Uni. Ob der fortgeschrittenen Stunde schenkte ich mir den Domberg, der sicher einen ausgiebigen Spaziergang wert gewesen wäre. Die berühmte Engelsbrücke sah ich nur von weitem.

Tartus Wahrzeichen, den Brunnen mit den küssenden Studenten, betrachtete ich aber noch eingehend.

Die küssenden Studenten, Tartu, Estland.

Die küssenden Studenten.

Freies WLAN und ein letzter Lesetipp

Dann schleppte ich meine abgelatschten Füße in ein Café am Marktplatz und gönnte mir einen Cappuccino. Estlands Ruf entsprechend war es absolut problemlos, dort per Handy meine E-Mails abzurufen. So konnte ich beruhigt Martins Zwischenbericht zur Kenntnis nehmen, dass es auch Janis inzwischen besser ging.

Café mit Wlan und Smartphone 2012.

Freies WLAN im Café – war damals ein Novum.

Meinen Bummel setzte ich dann Richtung Parkhaus fort, wo es nicht mehr so übermäßig hübsch war. Die Shopping-Mall überm Parkhaus beehrte ich noch kurz und kaufte in einer Buchhandlung „My Estonia“*. Das Buch eines der Liebe wegen hier hängengebliebenen Amerikaners hatte Reet uns am Abend zuvor empfohlen.

Abends haben wir mit den beiden noch lange zusammen gesessen, bis zwei Uhr oder so. Es ist schon schön, sich mal intensiv interkulturell austauschen zu können. An so einem Abend mit echten Locals lernt man mehr als auf jeder Studienreise. (Das behaupte ich zumindest mal, denn eine qualifizierte Studienreise habe ich zugegebenerweise noch nicht gemacht.)

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 2. August 2012 verfasst.

Weiterlesen? –> Pärnu: Estlands Sommerhauptstadt.