Erfahrungsbericht vom Besuch des größten Steinkreises der Welt in Avebury mit Kindern. Aus meinem Reisetagebuch.

Unser heutiges Ziel ist das prähistorische Britannien, allem voran Avebury, wo uns der größte erhaltene Steinkreis von Großbritannien erwartet. Die ganze Gegend ist ein Paradies für prähistorisch Interessierte. Auf einem Areal von wenigen Quadratkilometern befinden sich auch der West Kennet Long Barrow (eines der eindrucksvollsten und ältesten Ganggräber), der größte menschengemachte Hügel Europas Silbury Hill, der uralte Siedlungplatz Windmill Hill sowie mehrere Steinkreise in allen Größen. Die ganze Grafschaft Wiltshire ist mit frühzeitlichen Schätzen übersät. Zusammengefasst und verwaltet werden diese von English Heritage und National Trust als „Stonehenge, Avebury ans Associated Sites“.

The medieval village of Avebury has grown into the ancient henge and stone circle and enables the communitiy to advertise "the only stone circle with a pub inside".

Der Steinkreis von Avebury ist so groß, dass Laien ihn nicht auf ein Foto kriegen.

Von Avebury zum Steinkreis

Das kleine Dörfchen Avebury eignet sich gut als Ausgangsort für die Expedition in die Frühzeit. Die Siedlung selbst ist erst im Mittelalter an der Grenze der steinzeitlichen Anlage entstanden und im Laufe der Zeit mitten hinein gewachsen.

Für heutige Touristen ist dieser Umstand ein Glück, denn er verhindert weiträumige Absperrungen und saftige Eintrittsgelder. Nur das Parken auf dem ausgewiesenen Touristenparkplatz ist mit dem Tagessatz von 3,50 Pfund bemerkenswert und mangels Alternativen quasi als Eintrittsgeld zu werten.

Ein kurzer Fußweg führt uns auf die Ortsmitte zu, entlang an dem mehrere Meter hohen Erdwall. Schon hier staunen wir über die Gewaltigkeit des Projekts, das Menschen vor gut 4600 Jahren mit nichts als Schaufeln aus Elchgeweihen in Angriff genommen haben.

Die Geschichte des Steinkreises von Avebury

Wie wohl die meisten vorzeitlichen Stätten entstand das Avebury-Monument in mehreren Phasen und wurde zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Volksgruppen verschieden genutzt. Wenige Erkenntnisse können als wirklich gesichert gelten. Vieles von dem, was seit den ersten Ausgrabungen im 17. und später im 19. und 20. Jahrhundert in den Geschichtsbüchern steht, ist bei näherer Betrachtung alles andere als hieb- und stichfest. So haben beispielsweise Druiden mit langen Bärten und wallenden weißen Gewändern definitiv nichts mit den Steinkreisen zu tun – jedenfalls nichts mit ihrer Errichtung. Neuerdings sind ja durchaus einige von ihnen regelmäßig in und um solche Monumente herum unterwegs.

The archeologist Alexander Keiller reconstructed the site in the 1920s and used concrete posts to mark the missing stones.

In den 1920ern wurden die nach Meinung der damaligen Archäologen fehlenden Steine durch Betonpoller ersetzt. Würde man sich heute nicht mehr anmaßen.

Kaum etwas zu rütteln gibt es jedenfalls daran, dass das Bauwerk zusätzlich zu dem ältesten Teil des Henge-Erdwalls aus drei Steinkreisen besteht. Zwei kleine (vergleichsweise immer noch stattliche) bilden im Inneren eine Art Acht, die ein sehr viel größerer dritter Steinkreis umschließt.

Berichten aus der frühen Neuzeit zufolge bestand dieser ursprünglich aus 98 Steinen. Insgesamt sollen es in allen drei Kreisen 154 Monolithen gewesen sein, von denen heute noch (oder wieder) 36 stehen.

Abhanden gekommen sind einige von ihnen wohl beim Hausbau im Dorf. Andere wurden im ausgehenden Mittelalter gezielt „beerdigt“, da – im Gegensatz zu heute – heidnische Dinge nicht sehr hoch im Kurs standen. Nachdem im 14. Jahrhundert bei einer solchen Steinlegung ein reisender Barbier unter den fallenden Brocken geriet und für ein christliches Begräbnis auch die nächsten 600 Jahre nicht mehr zugänglich war, stellte man diesen Brauch wohl wieder ein.

Der Archäologe Alexander Keiller rekonstruierte die Steinkreise in den 1920er Jahren nach bestem Vermögen. Er richtete die vergrabenen Steine wieder auf und ersetzte die fehlenden symbolisch durch kleine Betonstelen – ein Vorgehen, das seinen modernen Kollegen nicht mehr unterkommen würde.

Immerhin ermöglicht uns Keillers Arbeit einen ganz guten Eindruck davon, wie die Anlage zu ihren Glanzzeiten vor 4000 Jahren wohl gewirkt haben mag. Gemeinsam mit gar nicht sooo vielen anderen Touristen wandern wir die Steinriesen ab. Schon Wahnsinn, welchen Aufwand die damaligen Menschen betrieben haben.

Das Alexander-Keiller-Museum in Avebury

Zurück im Ort folgen wir den Wegweisern zum Alexander-Keiller-Museum. In einer alten Scheune ist eine interaktive Ausstellung über die Geschichte des Ortes untergebracht, die nicht nur die Zeit der Erbauung und Nutzung der Steinkreise umfasst, sondern auch deren Ausgrabungen und Deutungsversuche im Wandel der Zeit. Die Informationen sind reichhaltig und so ansprechend verpackt, dass wir eineinhalb kurzweilige Stunden hier verbringen.

Während ich mir historische Details anlese, amüsieren sich die Jungs an den Erfahrungsstationen, ertasten Knochen, erraten Tiergeräusche und verkleiden sich im Steinzeit-Look.

There is an interactive exhibition in an old barn that shows kids and grown-ups alike how things were or might have been back then and today.

Geschichte zum Anfassen und Erleben.

Unser Ticket berechtigt uns auch zum Besuch des historischen Museums nebenan. Hier hat schon Keiller selbst begonnen, all das auszustellen, was er bei seinen Grabungen in und um Avebury gefunden hat. Diese Ausstellung ist recht traditionell aufgebaut: Infotafeln und altes Zeug hinter Glas. Trotzdem sind auch die Kinder bei der Sache und hochgradig beeindruckt von all dem, was sie vorhin nebenan auf spielerische Weise als Kunststoffmodelle kennengelernt haben.

Morbide fasziniert sind sie vor allem vom Inhalt der Hosentaschen des zu Tode gekommenen Barbiers. Dass die Geschichten, die sie vorhin bei den Steinen gehört und dann in der Ausstellung symbolisch erläutert bekommen haben, hier wirklich in Form handfester „Beweisstücke“ vorhanden sind, stellt ein erstklassiges Aha-Erlebnis dar, das wirklich lustig mit anzusehen ist.

The Alexander Keiller museum shows the actuals finds from the henge. My boys were especially fascinated to see the things from the pockets of the unlucky barber.

Fasziniertes Kind in einem klassischen Museum.

Und drum herum

Zwischen den Museumsgebäuden, dem unvermeidlichen Souvenirshop, Café und Toilettengebäude lädt eine Wiese Kinder zum Toben ein. Wir freuen uns über die vorbildliche Kinderfreundlichkeit: Nicht nur die Ausstellung ist auf Kinder eingestellt, auch hier draußen stehen Hüpfbälle, Rutscheautos und Tretfahrzeuge für die Kleinen bereit. Wir ergattern eine der Bänke und picknicken. Andere Familien haben gleich ihre eigenen Klappstühle mitgebracht und scheinen sich auf einen vollen Ferientag in Avebury einzurichten.

Wir dagegen haben noch nicht genug von der Frühgeschichte und machen uns wieder auf zum Auto, um auch Silbury Hill und dem West Kennet Long Barrow einen Besuch abzustatten.

Der Steinkreis von Avebury ist frei zugänglich. Parken ist praktisch nur auf dem ausgewiesenen Parkplatz möglich und kostet inzwischen 5 Pfund.
Das Alexander-Keiller-Museum ist täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Ein Familien-Ticket kostet 12,50 Pfund (und lohnt sich!).

Dieser Beitrag basiert auf einem Eintrag meines Reisetagebuchs vom 30.8.2013. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis.