Wir sind im Freilichtmuseum Rocca al Mare. Den Namen hat ein italophiler Bürgermeister dem Stadtviertel in Tallinns Norden im 19. Jahrhundert verpasst. Besonders italienisch kommt es mir nicht vor, aber auch hier ist es wieder wunderschön.
Im Vergleich zum Inhalt deutscher Freilichtmuseen und auch zu dem in Litauen fallen einige Dinge ins Auge. Während in Litauen der große Rauchabzug ein hervorstechendes Merkmal war, meist sehr zentral im Haus gelegen, hielten die Esten diese bauliche Herausforderung offenbar für ein überschätztes Accessoire und verzichteten in aller Regel ganz auf diesen Schnickschnack. Folgerichtig bauten sie lieber eine Sommerküche in einem separaten Häuschen, um, wann immer die Wetterverhältnisse es zuließen, nicht so viel Qualm in der Bude zu haben. Bedingt durch die spärliche Bevölkerungsdichte gab es lange kaum echte Arbeitsteilung in der estnischen Gesellschaft. Fast jeder Hof hatte daher auch eine kleine Schmiede eingerichtet, in der sich der Bauer selbst um seine Metallarbeiten kümmerte und entsprechenden Murks produzierte. Außerdem zeigt sich massiv die Seelenverwandtschaft mit Finnland, denn selbst kleinere Bauernkaten verfügten außerdem über eine Sauna mit offener Holz-Befeuerung. Wie auch in der Küche des Hauptgebäudes galt – und gilt noch heute – auch hier: Schornsteine sind was für Anfänger. Da das Sauna-Ritual gerne mit dem Genuss alkoholischer Getränke verbunden wurde (und wird), liegt die Halbwertszeit der Saunahäuschen nicht eben hoch.
Sehr gefallen hat mir das Anwesen einer zu gewissem Wohlstand gekommenen Bauernfamilie aus dem Jahr 1933. Die schwere Schreibmaschine und die Muster der Tapeten gaben einen Hinweis auf die zeitliche Einordnung dieses Stückchens Kulturgeschichte. Ansonsten sah es dem Haus von Kadri und ihrer Mutter verblüffend ähnlich.
Die Jungs sind langsam doch ein bisschen überfüttert mit Museen, aber sie hatten viel Spaß dabei, sich in der weitläufigen Anlage mit Wald, Wiesen und Meeresküste auszutoben und zu balgen. Sie mochten auch die Dorfschaukeln, die wir andernorts schon mehrfach gesehen und ausprobiert haben.
Mittag gegessen haben wir im Dorfkrug, Erbsensuppe für die Jungs und Kartoffel-Gerstenbrei für uns. Vegetarier haben hier wirklich keine Chance in Estland, oder besser gesagt im ganzen Baltikum. Auch wenn es nicht in der Karte vermerkt ist, kommt Speck selbstverständlich an alles. Reet schob das auf einen gesteigerten Energiebedarf aufgrund der nördlichen Lage des Landes. Sie glaubt, dass es wenigstens in diesen Breitengraden gesundheitlich äußerst bedenklich ist, auf Fleisch verzichten zu wollen, und spätestens seit der Begegnung mit der Hamburger/Kohv-Lady ich habe den Verdacht, dass sie hier mit dieser Meinung nicht alleine steht.
Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 9. August 2012 verfasst.
Weiterlesen in chronologischer Reihenfolge? –> Bequemer Katzensprung nach Helsinki.
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Hihi, ich glaube, wir haben wohl bei der gleichen tollen Familie auf der Couch geschlafen ;-) Im wunderschönen Nichts bei Tartu? Im alten Försterhaus? Und das Freilichtmuseum war wirklich schön, meinetwegen könnten die Dorfschaukeln allerdings noch mehr “Wumms” haben…Hach, Estland…
Ha, ja, witzig! :) Als Couchsurfer ist die Welt wohl noch ein bisschen kleiner. ;) Wenn wir wieder im Lande sind, müssen wir auch endlich mal eure Couch surfen, oder ihr kommt zu uns! :D
So machen wir das, Lena. Bis dahin hoffe ich viel über Südosteuropa zu lesen. Diese doofen Amis, echt…