Pünktlich um halb sieben kletterte Janis aus dem Hochbett und verkündete, dass er wach sei.
Ich hätte gern noch ein wenig Urlaubsschlaf genossen und schickte ihn nach unten ins Wohnzimmer, wo ich am Vortag eine Spielekiste ausgemacht hatte. Leider interessierte ihn die Gitarre in der Ecke neben dem Kamin mehr, und so klang fast sofort sein unmelodischer Morgenappell durch die Holzbalkendecke zu uns hinauf. Damit wenigstens Silas noch eine Mütze Schlaf bekam, stieg ich seufzend ebenfalls aus dem Bett, zog mich an und nahm den Störenfried mit auf einen Morgenspaziergang.
Und der war schön! Während sich die Sonne über die Hügel arbeitete und den Tau auf den Wiesen zum Glitzern brachte, erkundeten wir zuerst den Garten des Cottages, dann den Weg, der tiefer in den Wald hinein führt. Wir fanden Geheimgänge ins Gebüsch, ein ideales Schatzversteck in einem hohlen Baum, einen eingezäunten und umwachsenen, kreisrunden Tümpel mitten auf einer Schafweide, über die der mit lustigen Tierbildern ausgewiesene Wanderweg führte. Und Janis, der Finder, entdeckte eine uralte Pfundmünze im Dreck, die bestimmt mehrere Jahre dort gelegen hat.
Eine Stunde später gaben wir wieder den Türcode in das futuristisch anmutende Haustürschloss an, das an dem uralten Cottage so fehl am Platz wirkt. Da stand Martin bereits in der Küche und kochte Porridge. Janis und ich deckten den Tisch, und pünktlich zum Frühstück bequemte sich auch Silas aus dem Bett. Nach dem Essen bereiteten wir in aller Seelenruhe ein Picknick vor, während Janis seinem Bruder seine Entdeckungen im Hostel-Garten zeigte. Die Berufspendler wollten wir gerne erst alle vorlassen, und außerdem ist der Tagespass nach der morgendlichen Stoßzeit ein ganzes Stück billiger.
Jetzt sitzen wir im Zug in die Hauptstadt. Auf unserem Programm steht heute vor allem das British Museum. Ägyptische Mumien haben wir andernorts schon genug gesehen, aber den Stein von Rosetta wollen wir uns nicht entgehen lassen.
Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 12. August 2013 verfasst. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis. Der chronologisch nächste Artikel ist dieser hier:
Da werden Erinnerungen wach an den Grund für frühes Aufstehen in Rethwisch. Und an Porridge. ;-)
Dass ein solches Gespür übersinnlich ist glaube ich übrigens nicht. Eher eine Frage des Trainings oder eben im Gegenzug des Verlernens. Meistens trainieren wir lebenslang, eben nicht auf das Bauchgefühl, sondern auf den Verstand zu hören – nicht immer die beste Entscheidung, aber auch andersrum komisch – vor allem, wenn es unvorbereitet auftritt. Elektrosensibilität kommt womöglich auch dazu – so viele Hochspannungsleitungen wie da hab ich noch nirgends gesehen.
Herzlicher Gruß,
Katja
Immerhin ist Janis schon viel leiser geworden beim Aufstehen um kurz nach sechs. Jedenfalls wenn nicht gerade eine Gitarre lockt… ;)
Dass elektrische Spannung die Atmosphäre eines Ortes beeinträchtigt, glaube ich auch. Wahrscheinlich handfester als die Geister vergangener Tage, ja. :)