Da hatten wir uns zu viel versprochen vom British Museum. Nichts gegen die Ausstellungen an sich – wahrscheinlich waren sie großartig. Wahrscheinlich, weil wir nicht sonderlich viel davon gesehen haben.

Nachdem wir von der Victoria Station einen der typischen roten Doppeldeckerbusse bis fast vor die Haustür des Museums genommen hatten (Linie 38), erstaunte uns schon beim ersten Anblick der Andrang auf das Gebäude mit den weißen Säulen. Und das an einem Montag! Wahrscheinlich lockt der quasi freie Eintritt auf Spendenbasis so viele Menschen an. Touristenmassen aus aller Herren Länder schoben sich durch die unklimatisierten Räume und verdeutlichten uns, dass Deodorant längst nicht in allen Gegenden der Welt selbstverständlich ist. Wie ein Stück Treibholz in der Strömung wurden wir durch die Gänge der ägyptischen Abteilung gespült. Ab und zu gelang es uns, an einem der umlagerten Glaskästen hängen zu bleiben, und manchmal konnten wir sogar einen Blick auf die Ausstellungsstücke zu werfen. Die Kinder klebten freiwillig bei uns an der Hand, um in dem unglaublichen Gedränge nicht verloren zu gehen.

People, people and more people.

Leute, Leute, Leute.

Den berühmten Stein von Rosetta sahen wir gar nicht. Ich hatte nicht die Lust, ihn in diesem Tohuwabohu ausfindig zu machen. Nachdem uns klar war, dass es auch weiter hinten in den Gängen keineswegs überschaubarer wurde, drückten wir uns durch die Seitengänge wieder aus der ägyptischen Abteilung heraus. Dabei stießen wir etwas abseits der „herkömmlichen“ Mumien einflussreicher Ägypter auf einen einfachen ägyptischen Landarbeiter, der nach seinem Tod auf natürliche Weise mumifiziert worden ist. Obwohl man die Luft hier wirklich schneiden konnte, verweilten wir ein paar Minuten, weil die Jungs sich brennend für den Toten interessierten. Im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim hatten wir kürzlich gelernt, wie die handwerkliche Mumifizierung von statten geht. Die einfachen Leute, hieß es da, wurden nach dem Begräbnis von den Dienern Anubis’ direkt ins Totenreich geholt: Der schakalköpfige Totengott schickte die Aasfresser, die die Verstorbenen buchstäblich im eigenen Leib ins Totenreich transportierten. Dieser eine hier war den Schakalen entgangen, und meine Jungs rekonstruierten fasziniert den Prozess, wie der heiße Wüstensand den Toten von selbst mumifiziert haben musste.

This "natural" mummy was fascinating enough to fight for a good view and to last some more moments in the stale air.

Für Silas genauso interessant wie die „ordnungsgemäßen“ Mumien.

Wir bogen ab in Richtung der Toiletten und gerieten in den Bereich der alten Sumerer. Vorbelastet durch eine Mutter mit abgeschlossenem Geschichtsstudium und die Berliner Museumsinsel, identifizierten die Jungs die uralte Keilschrift und erkannten die Urform der später als biblisch adaptierten Cherubim. Hier war es schon deutlich leerer, aber immer noch so stickig, dass ich keine Lust verspürte, den Geschichtsunterricht zu vertiefen.

In einem letzten Anlauf, dem Museum mit Weltklasse-Ruf eine Chance zu geben, gerieten wir in den Room of Enlightenment. Hier fühlten wir uns entschieden wohler, allein schon weil der Raum klimatisiert und deutlich weniger frequentiert war. Der relativ neue Bereich ist dem Zeitalter der Aufklärung gewidmet, den die britische Geschichtsschreibung auf die Jahre 1680 bis 1820 datiert. Zahlreiche in Leder gebundene alte Schinken in den Regalen an der Wand erwecken den Eindruck einer stattlichen Bibliothek und sorgten dafür, dass ich mich entzückt an mein Wahl-Zuhause während des Studiums erinnert fühlte. Dazwischen und auch auf der Freifläche befinden sich zahlreiche Ausstellungsstücke hinter Glas, die die systematische Erkundung der Erde, die Sammlung alter Schriften und Kunstgegenstände anderer Kulturen, die Erforschung der Religionen und die Geburt der Archäologie dokumentieren. Auch die Gründung des British Museums selbst im Jahr 1753 fällt in diese Zeit. Hier konnten wir selbst auf Erkundungsreise gehen, Schubladen aufziehen und noch mehr alte Schätze entdecken. Ehrenamtliche Helfer beantworteten Fragen zu einigen Fundstücken, die die Besucher selbst in die Hand nehmen durften. Das hier war schon eher nach unserem Geschmack!

Einen kurzen Blick warfen wir noch nach oben in die britische Geschichte. Da uns hier aber sofort wieder Hitze und Menschenmassen überfielen, strichen wir die Segel und trollten uns.

Unser Fazit: Wir kommen gerne wieder! Dann aber an einem Donnerstag im Februar.

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 12. August 2013 verfasst. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis. Chronologisch geht’s hier weiter: Gleis neun-dreiviertel.