Ein Eintrag aus meinem Reisetagebuch…

Ein Auto-Tag. Von Tynemouth bei Newcastle fahren wir quer durchs Land nach Wales. Heute Abend wollen wir in Bangor sein. Die Strecke führt uns durch den dicht besiedelten Norden Englands, der von Industrie geprägt und nicht gerade für landschaftliche Schönheit berühmt ist. Zumindest von der Autobahn aus wirkt das alles hier auf uns wie ein riesiger Molloch aus Schloten, Straßen und Beton. Gerade sind wir irgendwo zwischen Manchester und Birmingham und halten seit einer halben Stunde nach einem braunen Schild Ausschau, das uns zu einem netten Ort für eine Picknick-Pause lotsen könnte.

In einem Vorort von Birmigham haben wir einen Aldi gefunden. Normalerweise bin ich ja immer ganz dafür, in die Lebensart anderer Länder einzutauchen. Über heimische Discounter aber freue ich mich, denn die sind in der Tat meist günstiger als lokale Mitbewerber. Und während ich im irischen Lidl damals an Teleportation zu glauben bereit war, weil ich mich schlagartig nach Deutschland versetzt fühlte, führt Aldi in Großbritannien ein völlig anderes Sortiment als zu Hause.

Einen Park oder auch nur eine Bank im Grünen fanden wir dort allerdings auch nicht. Und so zockeln wir wieder über die Autobahn, obwohl uns der Magen inzwischen in den Kniekehlen hängt.

Ha, sehr schön: Die britische Gastfreundschaft der Midlands hat uns überwältigt. Na ja, ich schätze, überall nette Leute zu erwarten, wäre auch übertriebene Naivität.

Wir fuhren also letztlich in Ermangelung von nett klingenden Alternativen irgendwo ab von der Autobahn, nahmen wahllos Abzweigungen in die Richtung, in der wir mehr Grün erhofften. Irgendwann tauchten auch Felder auf, aber kein Parkplatz, keine Grünanlage, nichts, wo wir hätten anhalten können, um ein bisschen zu picknicken. Eine knappe halbe Stunde zockeln wir also so einigermaßen parallel zur Autobahn durch die Landschaft. Schließlich verlieren wir die Nerven und biegen in eine kleine Straße ab, die zu einem Golfplatz führt. In einer Kurve entdecken wir ein kleines Stückchen Rasen, eingeklemmt zwischen zwei Straßen und einem Bahndamm. „No parking“ steht auf einem kleinen gelben Schild am Zaun. Egal. Wir stellen das Auto so, dass ein anderer PKW ohne Probleme vorbei kommt. Falls da ein dicker Trecker vorbei will, sind wir ja in der Nähe und können ausweichen. Wir packen unsere vorbereiteten Sandwiches aus und hocken uns auf die Holzpfosten, die sicherstellen sollen, dass niemand sein Auto auf dem Gras abstellt.

Kaum eine Minute vergeht, in der kein Wagen an uns vorbeibrettert. Manche Fahrer blicken uns finster an. Wir nicken ihnen nett lächelnd zu. Wir sind ungefähr bei Auto Nummer 23, als sich eine Fahrerin nicht auf einen finsteren Blick beschränkt.

Der cremeweiße Jaguar hält abrupt neben uns. Eine blondgefärbte Lady in den 50ern kurbelt das Fenster herunter und bölkt: „Excuse me! This is NOT a picnic area!“ – Das ist kein Picknick-Platz hier!

„Ich weiß“, antworte ich höflich. „Wir haben verzweifelt nach einem gesucht, und das hier war das Beste, was wir finden konnten.“

Die Dame klappert ungeduldig mit ihren akkurat lackierten Fingernägeln auf das lederbezogene Lenkrad. „Das ist Privatland!“ fährt sie uns an. „Man kann hier nicht picknicken! Das ist genauso, als ob man sich in den Vorgarten anderer Leute setzen würde!“

Ich sehe sie an, lasse meinen Blick demonstrativ über die Landschaft schweifen. Weit und breit ist kein Haus zu sehen, nur Straßen und Felder und das inoffizielle „no parking“-Schild. „Ich glaube nicht, dass wir hier irgendwen stören“, wage ich einzuwenden.

„Darum geht es nicht“, fährt sie mich an. „Es ist einfach unverschämt, auf anderer Leute Grundstück zu picknicken!“ Die Erscheinung in der Protzkarre in ihrer klischee-britischen Brüskiertheit ist so komisch, dass ich alle Mühe habe, mir ein Grinsen zu verkneifen und die Dame noch mehr gegen uns aufzubringen.

„Wie gesagt, es ist nicht so, dass wir unbedingt an diesem großartigen Ort sein wollen“, versuche ich sie zu beruhigen. „Aber es scheint ja im Umkreis keine Alternativen zu geben.“

„Einfach hier die Straße runter, beim Golfclub, da ist ein sehr nettes Café“, bescheidet sie uns, als hätte sie auf dieses Stichwort gewartet. Sie beginnt, die Speisekarte runterzubeten, und langsam begreife ich, woher der Wind weht. Offenbar ist sie die Besitzerin besagten Cafés.

„Aber wir wollen nicht ins Café“, sage ich betont höflich. „Wir wollen picknicken. Nach fünf Stunden Autofahrt einfach nur kurz anhalten und unsere Sandwichs essen. Wo könnten wir das denn sonst wohl tun, haben Sie eine Idee?“

Da hab ich sie wohl offensichtlich erwischt. Sie sieht mich missbilligend an.

Ich lächele.

Sie seufzt. Und überlegt tatsächlich. Schließlich nennt sie den Namen eines Parks, den ich sofort vergesse.

„Wo ist der?“ erkundige ich mich.

„Ein Stück die Straße runter.“ Sie deutet auf die große Landstraße hinter uns. „10 Meilen vielleicht. Aber es ist hübsch dort, wundervoll.“

Ich lächele erneut. „Danke“, sage ich artig, während ich innerlich mit den Augen rolle.

Die Lady kurbelt das Fenster hoch. Inzwischen hat sich hinter ihr eine Schlange gebildet, weil sie die Durchfahrt der Straße blockiert. Der Jaguar braust davon. Es fehlen nur noch die quietschenden Reifen, um das Bild zu komplettieren.

Die Jungs sind inzwischen fertig mit Essen. Ich kaue noch mein Sandwich auf, dann fahren wir weiter. Wir haben noch einen Kuchen dabei, den wir eigentlich heute Nachmittag essen wollten. Aber so schön ist es hier wirklich nicht, dass wir länger bleiben als nötig.

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 23. August 2013 verfasst. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis.