Dass große Herrscher in Pyramiden bestattet werden, wissen wir seit den ägyptischen Pharaonen. Mit deren Reich kann sich unser kleines Fürstentum nicht ganz messen. Das war mit Sicherheit auch Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe klar. Trotzdem ließ er im Schaumburger Wald bei Bückeburg 1776 das Mausoleum für sich und seine kleine Familie in Form einer Stufenpyramide errichten.
[Diesen Beitrag in meinem persönlichen Reiseblog habe ich 2014 verfasst und 2025 aktualisiert und erweitert.]
Durch den Schaumburger Wald zur Pyramide
Unsere erste bewusste Begegnung mit der Pyramide im Schaumburger Wald haben wir bei einer Fahrradtour. Es ist ein schöner Sonntag im Frühling. Uns steht der Sinn nach einer kleinen Runde mit den Rädern. Das Ziel ist schnell gefunden. Tatsächlich haben die beiden Jungs die Idee. Janis und Silas haben (im leider längst vergriffenen Hörspiel „Schaumburger Spürnasen“) gehört, dass sich ganz in der Nähe von Schloss Baum eine Pyramide befindet. Nun wollen sie die selbstverständlich auch sehen.
Von Bückeburg bzw. Minden aus führt die ausgezeichnete Radstrecke der Fürstenroute hier vorbei bis ans Steinhuder Meer. Das Gelände ist flach, alle Umstände angenehm. So haben wir es bald geschafft. Vom Waldweg aus ist das Bauwerk nicht zu übersehen.

Für die Ewigkeit gebaut, oder doch wenigstens dafür, sie zu symbolisieren: Das Mausoleum von Graf Wilhelm und seiner Familie schimmert unweit von Schloss Baum durch die Vegetation (Stand 2014).
An der Pyramide tut sich was
Die gute Sicht wundert mich. Ich erinnere mich dunkel, als Kind einmal hier gewesen zu sein. Damals versteckte sich das Mausoleum noch zwischen dichten Nadelbäumen. Hier ist offenbar einiges im Schwange. Als wir auf die schwere Eingangstür des Grabmals zugehen und uns den Aushang ansehen, wissen wir auch, was: Die ganze Anlage soll zurückversetzt werden in ihren ursprünglichen Zustand, gemäß den Plänen, die Graf Wilhelm selbst entworfen hat. Ein spiralförmiger Weg ist neu angelegt, gesäumt von Buchenhecken. Die werden noch ein bisschen Zeit brauchen, bis sie wirklich was her machen. Spätestens dann aber wird sich das Mausoleum – das nach denen in Bückeburg und Stadthagen übrigens nur das drittgrößte im Schaumburger Land ist – zu einer echten Sehenswürdigkeit mausern.

So soll’s werden: Die 2014 noch spärlich sprießende Spirale steht für den Lebensweg, Pyramide und Dreieck symbolisieren das aufklärerische Denken des Freimaurers.
Stand 2024 an der Mausoleumspyramide
Update mit kurzem Zeitsprung ins Jahr 2024: Zehn Jahre später führt uns eine weitere Fahrradtour zur Pyramide am Schloss Baum. (Diesmal ohne die Jungs, die längst groß und Stubenhocker geworden sind. Dafür ist zwischenzeitlich ihre kleine Schwester Franka auf der Bildfläche erschienen, die im Fahrradanhänger sitzt. Und Oma und Opa sind mit von der Partie.)
Statt freier Sicht auf das Mausoleum begrüßt uns nun eine dichte Buchenhecke. Davor steht ein hölzernes Portal. Die Inschrift darüber lautet: „Ewig ist die Fortschreitung der Vollkommenheit sich zu nähern, obwohl am Grabe die Spur der Bahn vor dem Auge verschwindet. Anno 1776.“ Eine filigrane Spirale zeigt uns darüber die Form, die die Landschaftsgestaltung um die Grabstätte bestimmt.
Faule können heute immer noch den direkten Trampelpfad zur Pyramide wählen. Wer im Sinne des Erfinders handeln möchte, schlägt den Weg entlang der gewundenen Buchenhecke ein. Die wickelt sich um uns, während wir uns spiralförmig dem Bauwerk nähern. Achtung: Der Schaumburger Wald ist von jeher Sumpfland. Dieser Erkenntnis muss sich der gestalterische Wille des Grafen auch 250 Jahre später noch beugen. Wenn ihr den Spiralweg vollständig ablaufen wollt, braucht ihr je nach Jahreszeit und Witterungsbedingungen Gummistiefel!
Infrastruktur gibt es an der Pyramide nicht. Ihr findet keine Picknicktische, keine Toiletten. Der Landschaftspark – was nach wie vor ein hochtrabender Name ist für den kleinen Flecken im nassen Schaumburger Wald – ist frei zugänglich. Tatsächlich finden wir nicht mal eine vernünftige Infotafel. (Vermutlich ist das auch der Grund, warum dieser Artikel seit zehn Jahren so viele Klicks erhält. Ihr googelt alle nach „Pyramide im Schaumburger Wald“, wenn ihr davor steht, und landet dann mangels Alternativen in meinem kleinen Blog. Und dann komme ich und erzähle euch Geschichten, statt einfach mit den harten Fakten rauszurücken. Sorry. Einfach durchhalten, bitte, geschichtliche Fakten kommen noch.)
Wer ist in der Pyramide im Schaumburger Wald begraben?
Zurück zu unserer Geschichte im Jahr 2014.
„Und wer ist da jetzt genau begraben?“, fragt Janis, während er vergeblich versucht, die Geheimnisse im Innern der Pyramide durch die Lüftungsschlitze zu ergründen.
Ich habe mich vorher schlaugemacht und kann ihm die traurige Geschichte erzählen. Sie handelt von dem Grafen, der erst sein einziges kleines Töchterchen verliert, zwei Jahre später seine Frau, und der im Jahr drauf selbst stirbt. So sind sie alle drei vereint in dem dunklen Raum da vor uns.
Die Jungs wollen es genau wissen. „Wie hieß das Mädchen?“ – „Woran ist die gestorben?“ – „Wie alt war die?“
Die Grafentochter hieß Emilie und erkrankte an Tuberkulose. Die endete damals oft genug tödlich. Während reiche Leute durch kostspielige Kuraufenthalte in den Bergen bessere Überlebenschancen hatten als arme, war die Krankheit für kleine Kinder aller Schichten fatal. Emilie starb kurz vor ihrem dritten Geburtstag.
„Oje“, sagt Janis, und für einen kurzen Moment sind die Kinder echt betroffen.
Wie die Pyramide in den Schaumburger Wald kam
Dann aber entdecken sie gefällte Baumstämme, die zum Klettern einladen. (Natürlich haben sie dafür erst die 21 Studen der Pyramide im Blick. Die Grabstätte ist aber entschieden kein Klettergerüst!) Schon sind sie wieder ganz mit ihrem Spiel beschäftigt. Was ich mir sonst noch über Graf Wilhelm und seine Familie angelesen habe, kann ich also bloß noch Martin erzählen.
Das erstaunliche Leben des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe
Der Landesherr galt als aufgeklärter und intelligenter Mann. Graf Wilhelm Friedrich Ernst zu Schaumburg-Lippe hieß er mit vollem Namen. Geboren war in London, denn seine Mutter Margarethe Gertrud war eine uneheliche Tochter des Kurfürsten von Hannover, der als George I. König von Großbritannien wurde. Am Hof von Friedrich dem Großen in Sanssouci (Potsdam) zählte er als junger Mann zum engeren Zirkel um den Philosophen Voltaire. Als Zweitgeborener durfte er sich seiner intellektuellen Neigung hingeben, jedenfalls mehr als sein großer Bruder.
Als der mit 20 einen Duelltod starb, lasteten doch alle Zwänge der Erblinie auf Wilhelm. Wie damals für junge Fürsten im Heiligen Römischen Reich üblich, mache er militärische Karriere. Als Heerführer diente er Preußen im Siebenjährigen Krieg. Das tat er offensichtlich gut, denn er erhielt schließlich den Oberbefehl über die gesamte Artillerie. Später trat er in die Dienste Portugals und sicherte dem kleinen Land die Unabhängigkeit. (Die Gedenkplakette vor seiner Pyramide geht darauf ein. Sie wurde vom portugiesischen Staat gestiftet.) Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe entwickelte die Theorie des reinen Verteidigungskriegs. Obwohl er so viel Lebenszeit als Heerführer verbrachte, hielt er den Defensivkrieg für die einzig vertretbare Variante der Kriegsführung.
Bei seinem kleinen Volk in Schaumburg-Lippe war Graf Wilhelm sehr beliebt. (Bei seiner Staatskasse allerdings nicht, da er unheimlich viel Geld ins Militär steckte.) Er war es, der im Steinhuder Meer die künstliche Insel mit der Festung Wilhelmstein errichten ließ. Auf seine Initiative ging dort der Bau des ersten Unterseeboots zurück.
„Ein großer Herr, aber für sein Land zu groß“, klagte Johann Gottfried Herder, der 1771 als Hofprediger nach Bückeburg kam.
Jener Dichter und Freund Goethes war generell nicht sonderlich angetan von seiner neuen Stellung in dem kleinen Schaumburg-Lippe. Wohl aber von Wilhelms 20 Jahre jüngeren Frau, Gräfin Marie. Ihre Gläubigkeit beeindruckte ihn sehr – und das wiederum passte dem Grafen nicht. Es muss eine schwierige Dreiecksbeziehung gewesen sein, wie aus zahlreichen Briefen Herders hervorgeht. Er war es, der die kleine Emilie taufte und dann so bald wieder beerdigte. Die Trauerfeier für Gräfin Marie zwei Jahre drauf war seine letzte Amtshandlung in Bückeburg.
Wilhelm und Marie und der Tod
Graf Wilhelm heiratete die 21-jährige Marie Barbara Eleonore von Lippe Biesterfeld nach seinem Einsatz in Portugal. Zeitzeugen beschrieben die Ehe als „ausgesprochen glücklich“. Wie der Philosoph Moses Mendelsohn schreibt, „liebten sie sich einander mit inniger, fast romanhafter Zärtlichkeit; vielleicht zu sehr, um ein glückliches Ehepaar auszumachen.“
Da Wilhelm weiterhin viel unterwegs war (oder vielleicht auch, weil Marie schon krank war, wer weiß), dauerte es aber fast sechs Jahre, bis die kleine Emilie 1771 zur Welt kam. Dass die Todesursache Tuberkulose war („Auszehrung“), habe ich in mehreren Quellen gelesen. Auch Marie, die ihrer kleinen Tochter zwei Jahre später in den Tod folgte, starb wohl an der bakteriellen Krankheit, die damals tückisch grassierte und sich oft über viele Jahre zog. Etliche Zeitzeug*innen gaben allerdings eher dem „Gram“ die Schuld. Beide Eheleute sollen nach dem Verlust schwer von „Melancholie“ geprägt gewesen sein – was sich heute wohl als Depression übersetzen lässt.
„Schwermut und Krankheit“ sollen nach dem doppelten Schicksalsschlag dann den Grafen selbst dahingerafft haben. Mit konkreten Todesursachen hatten die Leute es damals verständlicherweise nicht so. Auf jeden Fall starb er zurückgezogen und Kontakte zur Außenwelt meidend in einem Haus im Wald bei Wölpinghausen. (Der Neubau wurde später abgetragen und im Ort als Apotheke wieder aufgebaut. An jener Stelle steht heute der Graf-Wilhelm-Turm. Und es gibt dort einen ganz wunderbaren Wanderweg für Familien, den Märchenweg.)
Da mit dem Tod der kleinen Grafenfamilie diese Linie derer zu Schaumburg-Lippe erlosch, ging der Titel an einen Neffen über: Philipp Enst zu Lippe-Alverdissen.
Schloss Baum
Nur wenige Meter von der Grabstätte entfernt befindet sich das Jagdschloss Baum, ein winziges Lustschloss, das Graf Wilhelm bereits 1760 errichten ließ.
Hier war sein bevorzugter Aufenthaltsort, jenseits des höfischen Protokolls des großen Schlosses in Bückeburg. Es liegt an der Grenze der damaligen Grafschaft. Der Name „Schloss Baum“ bezieht sich auf den Schlagbaum an der Zollstation. Heute ist es eine Tagungsstätte, die sich nach einem Wechsel im Besitz eines gemeinnützigen Vereins befindet. Es gibt regelmäßig Kulturveranstaltungen, aber die Örtlichkeit kann auch – mit jahrelanger (!) Vorlaufzeit – auch für grandiose Hochzeiten und andere Veranstaltungen angemietet werden. Eine Besichtigung ist nicht möglich.
Mehr über Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe und seine Pyramide
Wenn euch die Architektur und die ganzen Inschriften im Inneren der Pyramide im Schaumburger Wald interessieren, schaut auf der Seite des Infaterieregiments Graf Wilhelm nach. Die Gruppe liefert nicht nur geschichtliche Hintergründe über die Zeit des Grafen. Sie widmet sich dem Reenactment, also der authentischen Darstellung jener Epoche. Wenn ihr Lust habt, euch zeitgenössische Uniformen anzuziehen und echte Kanonen abzuschießen, guckt euch auf der Seite um! Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Wölpinghausen sucht immer Leute.
Die ausführlichste frei verfügbare Biografie über Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe habe ich in einer Onlineversion des Westfälischen Kalenders von 1801 gefunden. (Meine Lieblingsstelle, betreffend Wilhelms Großvater väterlicherseits: „Friedrich Christian, ein blödsinniger Herr, war im Jahre 1728 mit Tode abgegangen.“ Ich bin zutiefst gekränkt in meinem lokalpatriotistischem Stolz.)
Noch eine Pyramide in Niedersachsen
Die Pyramide im Schaumburger Wald ist nicht die einzige, die in Niedersachsen steht und einen toten Grafen beinhaltet. In Holle bei Hildesheim ließ sich Graf Ernst zu Münster in seinem Schloss Derneburg ebenfalls ein Mausoleum in Pyramidenform errichten. Jene Pyramide ist mit elf Metern etwas größer, aber auch etwas jünger als „unsere“ in Schaumburg. Dafür taugt sie als Ausflugsziel bestimmt mindestens ebenso gut, denn sie liegt in Laufreichweite zum Schloss Derneburg mit Kunstmuseum und Café. Wir waren noch nicht dort. Aber spätestens nach Besuch der Website des dazugehörigen Laves-Kulturpfads steht die Zwillings-Sehenswürdigkeit auf unserer Liste.
Mehr übers Schaumburger Land im Blog
Hier in meinem Reiseblog habe ich noch eine ganze Reihe weiterer Erfahrungsberichte über schöne Orte in meiner Heimatregion. Übersichtlich gesammelt und verlinkt sind sie alle hier:
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