Der Harrl ist der Hausberg für alle Bückeburger. Ein bewaldeter Hügel, der in grauer Vorzeit als heilig verehrt worden sein soll. Dank der detailreichen Beschilderung inklusive Infotafeln über historische Hinterlassenschaften vieler Epochen wird hier aus einem schnöden Sonntagsspaziergang ein spannender Ausflug für die ganze Familie.

Wir stürzten mal wieder völlig unbedarft und aus Versehen in dieses Abenteuer (und deshlab gibt es auch nur miese Handy-Fotos). Das Wetter ist schön, die Kinder haben Ferien, und so beschließen wir, mit dem Fahrrad zur Eisdiele nach Bad Eilsen zu fahren. Die macht aber schon Winterpause, da ist nichts mit Eis. Silas, der sich mühsam mit seinem kleinen Fahrrad die Steigung empor gekämpft hat, ist am Boden zerstört. „Tja, da muss ein Plan B her“, sage ich. „Die nächste Eisdiele ist in Bückeburg.“ Einmal rüber über den Berg. „Auf geht’s!“

Die Harrl-Allee, die vom Mittelpunkt des Kurorts in Richtung Bückeburg führt, ist ziemlich steil. Wir schieben, Silas unter Protest. Um 1800 sorgte Fürstin Juliane zu Schaumburg-Lippe für die Einrichtung des ersten deutschen Schwefel-Schlammbads. Im Zuge der groß angelegten Verschönerungsaktion, mit der das kleine Bauerndorf Eilsen für die noblen Kurgäste gründlich aufgehübscht werden musste, legte man diese prächtige Linden-Allee an. Mit diesem Wissen belohnt uns ein unscheinbares Täfelchen am Wegesrand, als wir den Anstieg fast geschafft haben. Im 19. Jahrhundert traf sich hier alles, was Rang und Namen hatte, heißt es weiter. Das Schild nennt unter anderem Gerhard Hauptmann, Franz Liszt, Hermann Löns (der zu uns Schaumburgern bekanntermaßen ein gespaltenes Verhältnis hatte) und Prinzessin Margaret von Großbritannien. Der „Fürstenhof“ galt damals als elegantestes Hotel Europas (als Kur-Klinik ist es heute immer noch recht schick, zieht aber längst keine Besucher von Weltrang mehr an).

The wood invites us not with a red carpet but with a golden one.

The wood invites us not with a red carpet but with a golden one.

Da, wo Örtchen und Wald aufeinander treffen, informiert eine große Tafel über die verschiedenen Wanderrouten im Harrl. Es gibt lange und kurze, steile und fast ebene, und einen Radweg, der Teil der insgesamt 53 Kilometer langen Landtour Bückeburg ist. Die meisten Strecken führen am Idaturm vorbei, von dem aus man eine nette Aussicht haben soll. Ein Anschlag neben der Karte beugt Enttäuschungen vor: Der Turm ist im Winterhalbjahr geschlossen. Umso besser für mich, denn ich hasse Aussichtstürme. Janis und ich entscheiden uns für den Radweg. Silas entscheidet sich, schlechter Laune zu sein. Er will jetzt ein Eis, er will nicht über den Berg und schon gar nicht in den blöden Wald. Der blöde Wald zeigt sich uns in den bezaubernsten Farben. Wie Gold schimmern uns die gefallenen Herbstblätter der Buchen auf dem Waldweg entgegen. „Ist das nicht herrlich?“ sage ich zu Janis, ein bisschen lauter, um Silas’ Gemotze zu übertönen.

Zum Glück finden wir bald die nächste Infotafel, und Silas’ schlechte Laune ist für den Moment vergessen. Auf freier Strecke verrät uns ein beschriftetes Panorama-Bild die Namen der umliegenden Hügel. Ich weiß, die müsste ich eigentlich alle kennen, schließlich wohne ich keine zehn Kilometer entfernt. Aber von Messingberg und „langer Wand“ habe ich, ehrlich gesagt, noch nie was gehört. Außerdem erfahren wir etwas über die Feldziegeleien, in denen Bauernfamilien früher im Nebenerwerb Tonziegel herstellten. Etwas abseits des Weges finden wir Spuren eines solchen Ziegelmeilers. Im Leben wären wir nicht darauf gekommen, da zu suchen, und selbst wenn wir über die verbrannten alten Steine gestolpert wären, hätten wir nicht gewusst, dass wir da ein Stück Lokalgeschichte vor uns haben.

There are information boards along the paths that hint at historical traces and motivate the children to go and search for the next one.

There are information boards along the paths that hint at historical traces and motivate the children to go and search for the next one.

Genauso ergeht es uns wenig später an einem fürstlichen Schießstand im Wald, an dem zu Kaisers Zeiten Schützenfeste gefeiert wurden. Wer weiß, wo er hingucken muss, entdeckt die Spuren in der Landschaft. Die Jungs pesen vor, „bis zum nächsten Schild“. Jeder will es zuerst finden. Die „ewig lange Strecke“ (von Eisdiele zu Eisdiele vielleicht fünf Kilometer) teilt sich so in übersichtliche Etappen auf. Gejammer höre ich gar nicht mehr.

Schon erreichen wir die ersten Häuser von Bückeburg. „Boah, so weit schon!“ sagt Silas, beeindruckt von sich selbst. Am Bergbad finden wir die letzten beiden Kultur-Spuren: ein Gedenkstein der Völkerschlacht, genau 200 Jahre alt, und der jüdische Friedhof. Beides versteckt sich außer Sichtweite des unbedarften Spaziergängers. Ohne die Hinweistafeln wären wir nie darauf gestoßen.

Der jüdische Friedhof am Harrl, Bückeburg.

A pleace we didn’t even know existed in Bückeburg: the Jewish cemetery.

Zur Eisdiele geht es jetzt nur noch bergab. Als Belohnung ist die Pause aber schon längst überflüssig. „Der Weg ist das Ziel“ hat sich einmal wieder auf schöne Weise bestätigt. Zurück fahren wir dann zwar lieber übers Feld, wo alles flach ist. Aber wir kommen bestimmt noch mal wieder und erkunden die anderen Strecken im Harrl.

 

Freitags zeige ich euch spannende Ausflugsziele aus Schaumburg und der näheren (und weiteren) Umgebung. Es gibt so viel zu erkunden in aller Welt, aber auch bei uns zu Hause warten genügend kleine, große und völlig unterschätzte Sensationen darauf, entdeckt zu werden. Und vielleicht ist ja genau die richtige Idee für eure Wochenend-Planung dabei?