Wie geht es euch? Seid ihr gesund? Seid ihr genervt? Verunsichert? Wir befinden uns alle in einer Ausnahmesituation, die uns latent überfordert. Wir sind aus unserer comfort zone hinauskatapultiert und vor eine Menge neuer Herausforderungen gestellt worden. Eine davon ist für uns Eltern das Homeschooling. Ich selbst habe da Erfahrung, denn wir haben unsere beiden Kinder in der zweiten und fünften Klasse ein Jahr lang eigenständig unterrichtet, als wir elf Monate durch Europa gereist sind. Als Reiseblogger und Reise-Autorin bin ich absolut nicht systemrelevant. Aber beim Thema Homeschooling immerhin kann ich mich nützlich machen, indem ich unsere Erfahrungen und Tipps zum Lernen zu Hause mit euch teile.
Letzte Woche galt es noch, Leute zu überzeugen, aus Solidarität zu Hause zu bleiben und nicht zu reisen. Reisen, ha! Mittlerweile haben wir ganz andere Sorgen. Deshalb schreibe ich heute auch nichts von quarantänegerechten Kinderbeschäftigungsideen, wie ich es vergangene Woche angekündigt habe. Davon ist das Netz schließlich mittlerweile voll bis oben hin.
Lektion Nummer eins: Zuversicht
Auf Twitter lese ich von so vielen Eltern, die jetzt schon am Ende ihrer Kräfte sind, weil sie ihre Arbeit neuerdings im Homeoffice erledigen, dieses oft mit dem Partner teilen und gleichzeitig die Kinder beaufsichtigen müssen – und dazu dann noch die komplette Beschulung besagter Kinder übernehmen sollen. Ich lese von „50 Seiten ausdrucken allein für Bio“ und ähnlichen Lawinen von Arbeitsblättern für Grundschüler, und von völlig verzweifelten Eltern, die das Gefühl haben, sich jetzt aber richtig ins Zeug legen zu müssen, um in der Krise wenigstens die Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder zu retten.
Deshalb kommt von mir gleich ein allererster, allerwichtigster Tipp zum Homeschooling für Eltern: Entspannt euch! Ja, Bildung ist superwichtig. Wir haben uns damals ja auch richtig reingehängt, damit die Jungs die Unterrichtsinhalte aufnehmen. Aber wenn ich bei der Sache eins gelernt habe, dann dass Kinder ohnehin die ganze Zeit lernen, immer, nebenbei. Man kann es gar nicht verhindern.
Und gerade in der häuslichen Situation, in der Eins-zu-eins-Betreuung, wird deutlich, wie wenig Zeit eigentlich notwendig ist, um den erforderlichen Schulstoff in ein Kindergehirn zu trichtern. Außerhalb der Schule und für ein bestimmtes Kind (bzw. eine Geschwistergruppe) ist das ohne großen Aufwand möglich.
Wir haben unsere Kinder ein Schuljahr lang selbst unterrichtet. Der Heimunterricht – besser gesagt: das Travelschooling – nahm einen wichtigen Stellenwert auf unserer Langzeitreise ein. Fünf Jahre ist das mittlerweile her. Wir können also die Langzeitfolgen ganz gut überblicken: Es gibt eigentlich keine, zumindest keine negativen. Die Jungs sind nach dem Jahr in ihre alten Klassen zurückgekehrt, gehören beide nach wie vor leistungsmäßig ins obere Drittel ihres Klassenverbands.
Normalerweise stehen meine Erfahrungen mit dem Thema Homeschooling nur in dem kostenpflichtigen E-Book, das ich geschrieben habe. Aber in Zeiten von Corona sollten wir alle zusammenrücken (nur im übertragenen Sinne, versteht sich!) und zur Bewältigung der Krise beitragen, was wir können. Also kommen hier die relevanten Auszüge aus meinem Travelschooling-E-Book:
Unsere Homeschooling-Erfahrungen auf der Reise
Unsere Jungs haben die Reise in dem Bewusstsein angetreten, dass sie eine grandiose, einmalige Chance vor sich haben, die Welt zu sehen und ein Jahr lang nicht zur Schule zu gehen – dass sie im Gegenzug dafür aber einige Dinge tun müssen. Ohne ihr generelles Einverständnis mit offiziellem Versprechen, unterwegs regelmäßig Schule zu machen, wären wir gar nicht losgefahren. Dass man sich an Abmachungen hält, steht in unserer Familie nicht zur Debatte. Insofern hatten wir eine solide Grundlage, auf die wir jeden Schultag aufbauen konnten.
Lernfreundliche Umgebung und Rituale schaffen
Natürlich ist es wichtig, in der ständig wechselnden Umgebung immer wieder eine lernfreundliche Umgebung zu schaffen. Vor allem unserem Zweitklässler haben wiederkehrende Rituale geholfen.
So haben wir das Klassenfoto auf den Tisch gelegt und vor allem bei magerer Motivation durch lockende Umgebung mit einem Gedenken an die Klassenkameraden begonnen, die den ganzen Vormittag in der Schule sitzen müssen, während wir bald fertig wären und spannende Dinge erleben könnten.
Bei der Fokussierung auf die Unterrichtssituation half das wiederkehrende Aufsagen des Zeugnisspruchs (an der Waldorfschule gibt es normalerweise noch einen Monatsspruch und andere Eingangsrituale, die wir sträflicherweise stark abgekürzt haben).
Wenn aus Mutter und Vater Lehrer werden sollen
Als unterrichtendes Elternteil ist man kein Lehrer. Es ist ein grundsätzlich anderes Verhältnis.
Einerseits hat man als Unterrichtender weitreichendere (wenn auch manchmal pädagogisch fragwürdige) Möglichkeiten: „Wir machen diese Aufgabe jetzt fertig, erst danach können wir mittagessen.“ Andererseits trägt man alle familiären Konflikte unvermeidlich mit in die Lernsituation.
Uns hat eine partnerschaftliche Unterrichtsplanung gut getan. Die Inhalte und Aufgaben selbst standen zwar nicht zur Diskussion, aber ob wir zuerst Schreiben üben oder zuerst an der Tasche weiter nähen, darüber hatten die Jungs durchaus ein Mitspracherecht. So kam es nur selten zu Trotzreaktionen, und wenn, konnten diese durch Kompromisse aufgefangen werden.
Dass im Hintergrund immer noch die Schule stand, auf die ich beim Abverlangen unangenehmerer Aufgaben mit dem Finger zeigen konnte, war manchmal ein bequemer Bonus.
Mit Sinn und Verstand
Selbstverständlich besteht auch im normalen Unterricht das Idealbild einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Lehrer und Schülern zum höheren Ziel. Für uns gab es unterwegs vor allem mit dem Großen ein Grundgefühl des gemeinsamen Erfüllens einer Aufgabe, eben dem Abarbeiten des Kurrikulums, welches uns unser herrlich freies Reiseleben erst ermöglicht.
Und die Möglichkeit, die erforderlichen Lerninhalte individuell umzusetzen, zeigte sich als großer Segen: beim Erstellen frei formulierter Texte auf Grundlage bestimmter Informationsquellen zum Beispiel, für das Janis sich vor Ort die Vampirlegenden Transsilvaniens aussuchte, statt sich mit 33 Mitschülern ein Thema vom Lehrer vorgeben lassen zu müssen.
So wird das was
Allerwichtigste Voraussetzung für das Lernen unterwegs sind Disziplin und Konsequenz auf Elternseite. Es reicht nicht, den Kindern unmotiviert Arbeitshefte anzureichen. Im Reisealltag müssen immer wieder gezielt Zeitfenster geschaffen werden, in denen Lernen nicht nur möglich, sondern schlichtweg angesagt ist.
Dabei wird sich fix herauskristallisieren, welche Zeiten sich am besten eignen. Während in der dunklen Jahreszeit der späte Nachmittag ja so praktisch gewesen wäre, mussten wir beispielsweise schnell feststellen, dass wir vormittags nach dem Frühstück ohne Gemotze doppelt so viel schaffen wie nachmittags mit viel Gezeter.
Wie man dann letztlich arbeitet, ob mit Wochenplänen, Belohnungssystem oder gar mit festem Stundenplan, bleibt persönliche Geschmackssache.
Wichtig ist, dass man als unterrichtendes Elternteil den Überblick behält und Gelerntes nach Möglichkeit auch dokumentiert.
Ganz konkrete Tipps fürs Homeschooling
- den richtigen Zeitpunkt finden (bei uns: morgens nach dem Frühstück)
- gute Lernumgebung schaffen (bei uns: aufgeräumter Küchentisch, Schreibzeug und Papier parat)
- angenehmes Klima schaffen (gelüfteter Raum, Wasser oder Tee stehen parat)
- ritualisierter Rahmen (wir zünden eine Kerze an, um den Beginn der Schulzeit zu signalisieren)
- verbindliche Absprachen auf Augenhöhe (wir starten immer mit zehn- bis 15-minütigen Besprechung, wer heute was zu erledigen hat, welche neuen Infos und Aufgaben es aus der Schule gibt, wie die Nachrichtenlage ist und was im Laufe des Tages im Garten oder an Einkäufen gemacht werden muss)
- Führen einer schriftlichen To-do-Liste (wir erstellen jeden Tag gemeinsam eine für jedes Familienmitglied)
- Visualisieren des Gesamtpensums (jeder Schüler hat bei uns seinen Stapel mit Arbeitsblättern und Aufgaben bis zu den Osterferien vorliegen, den er sich selbstständig einteilen kann; Jüngere bräuchten dabei sicherlich Hilfe)
Was man als Eltern tun sollte, damit Kinder zu Hause lernen können
- etwas Zeit nehmen, in der man ausschließlich fürs Homeschooling zur Verfügung steht (eine Stunde am Tag reicht)
- alle Fragen beantworten (gegebenenfalls sind Wikipedia und YouTube dein Freund)
- nur Fragen beantworten, die auch gestellt werden (den Kindern Freiräume zum selbstständigen Arbeiten lassen)
- für eine verbindliche Arbeitssituation während der Homeschooling-Session sorgen (alle sitzen jetzt am Tisch, keiner daddelt heimlich am Handy, disziplinierte Konzentration für eine Stunde)
- aber: spätestens alle 20 Minuten Methodenwechsel (in guten Arbeitsblättern und Lernunterlagen ist das mit eingebaut; wenn nicht, muss wenigstens eine kurze Bewegungspause erlaubt sein)
- über das Gelernte sprechen: Auch wenn man ältere Schüler komplett selbstständig arbeiten lässt, sollte man sich am Ende der Session eine Zusammenfassung geben lassen – um informiert über den Stoff zu sein, vor allem aber, um dem Schüler die Chance zur Wiederholung und damit Festigung der Inhalte zu geben.
- aufpassen, dass sich die Kinder nicht selbst überfordern (gerade in höheren Klassen ist es natürlich okay, wenn der Nachwuchs länger als eine Stunde pro Tag über den Büchern sitzt; sechs bis acht Stunden laut normalem Stundenplan müssen aber keinesfalls in sechs bis acht Stunden Lernen zu Hause übersetzt werden!)
- Loben!
- Spiel, Spaß und frische Luft nicht zu kurz kommen lassen.
Zum Weiterlesen
Mein E-Book richtet sich hauptsächlich an Eltern, die mit ihren Kindern eine längere Reise planen und dafür einen Weg aus der Schulpflicht-Problematik suchen.
Langzeitreise mit schulpflichtigen Kindern: Unser Weg zur Schulbefreiung
Hier im Blog gibt es einige Berichte aus unserem Travelschooling-Alltag:
- Travelschooling: Schule auf der Langzeitreise
- Travelschooling: Das sagen die Jungs zwei Jahre später
Weitere Tipps fürs Lernen in der Coronakrise geben die 5Reicherts, deren drei Kinder allesamt als Freilerner Abitur gemacht haben, ohne dafür zur Schule zu gehen.
Hinterlasse einen Kommentar