Kinder im Grundschulalter wissen oft schon eine Menge. Dass Berlin Deutschlands Hauptstadt ist, zum Beispiel. „Da wohnt Frau Merkel“, lautet die erste Assoziation von Silas (7). „Und es gibt sehr viele Museen auf der Museumsinsel“, erinnert sich Janis (10) an seinen letzten Besuch. Das Brainstorming, das wir zum Auftakt unseres Hauptstadt-Kurztripps veranstalten, ist durchaus ergiebig: Die Jungs freuen sich aufs Brandenburger Tor und auf den Fernsehturm, auf den Reichstag und die Reste der Berliner Mauer. Und ja, diesmal wollen sie Sightseeing machen. „Das muss man schließlich alles mal gesehen haben“, sagt Janis, „damit man weiß, wovon die im Radio immer sprechen.“ Nach unseren guten Erfahrungen in Dresden haben wir uns für diesen Fall wieder für die Kinder-Tour des „Stadtspiels (Ver-)Führung“ entschieden: „Schnitzeljagd Berlin City“, kindgerechtes Sightseeing individuell und mit Spaßfaktor für die ganze Familie.

Mit dem Gruppenticket für den öffentlichen Nahverkehr erreichen wir bequem den Alexanderplatz, Ausgangspunkt unserer „Stadtführung“.

Während die Jungs St. Petersburg auf der Weltzeituhr suchen und die Buchstaben zählen, um unseren weiteren Weg zu enträtseln, lesen Martin und ich den Text auf dem Kärtchen durch, das in unseren Unterlagen enthalten ist. Für die Kinder fassen wir die Informationen dann etwas vereinfacht zusammen: Der „Alex“ ist seit ewigen Zeiten Verkehrsknotenpunkt und beherbergte einst das längste Kaufhaus der Welt. Das hat den Krieg nicht überstanden, aber in den Nachfolgerbauten haben sich die üblichen Verdächtigen des Einzelhandels angesiedelt.

Einen davon müssen wir spontan besuchen, denn das Wetter ist doch kühler als gedacht, und wir haben Silas’ Jacke im (leider nicht empfehlenswerten) Hotel vergessen. Das ist das Gute an den Stadtrundgängen auf eigene Faust: Wir können sie jederzeit unterbrechen.

Mit Weltzeituhr und Fernsehturm war der Alexanderplatz das Zentrum Ostberlins.

Mit Weltzeituhr und Fernsehturm war der Alexanderplatz das Zentrum Ostberlins.

Der Fernsehturm und die unverhoffte Großstadt-Idylle

Die Untersuchungen der Kinder haben ergeben, dass wir als nächstes Umschlag Nummer 4 öffnen müssen. Die Anweisungen in diesem lotsen uns auf die gegenüberliegende Seite des Platzes und am Fernsehturm vorbei.

Der männliche Teil der Familie würde ja gern der Empfehlung des Stadtspiels folgen und einen Abstecher auf das mit 368 Metern höchste Gebäude des Landes wagen. Der höhenängstliche Teil verweist auf das Eintrittsgeld und die lange Schlange. Etwa eine Million Besucher genießen die Aussicht jährlich, verrät unser Kärtchen.

Wir laufen lieber weiter bis zum Neptun-Brunnen. Hier erleben wir zu unserer Überraschung eine fast schon surreale Großstadt-Idylle. Der Verkehrslärm wird übertönt vom Plätschern des Meeresgottes und seiner Gefährten (die auch wieder mit dem nächsten Rätsel zu tun haben). Dem aufziehenden Gewitter schickt eine junge Studentin aus Osteuropa gigantische Seifenblasen entgegen. Die Jungs dürfen mitmachen (gegen eine kleine Spende in die bereitstehende Spardose, versteht sich). Schillernd wabern die riesigen Gebilde über den Platz. Dicht daneben positioniert sich ein Streichquartett, das die Szenerie plötzlich mit bühnenreifer Klassik unterlegt. Dies ist einer der Momente, die unverhofft und doch so intensiv sind, dass sie für immer im Gedächtnis bleiben.

Der Berliner Fernsehturm ist täglich von 9 bis 24 Uhr geöffnet (November bis Februar erst ab 10). Erwachsene zahlen 13 Euro Eintritt, Kinder von vier bis 16 Jahren 8,50 Euro, darunter frei.

berlin-neptunbrunnen

Pause von der Großstadt: Am Neptunbrunnen hinterm Fernsehturm lässt sich durchatmen.

Der Berliner Dom und berührende Momente in der Neuen Wache

Lange dauert die Glückseligkeit nicht, denn der Himmel hält, was er verspricht. Eilig packen die Musiker zusammen und verschwinden, und die Seifenbläserin deckt ihre Lauge ab.

Wir warten das Schauer unter den Arkaden des Berliner Doms ab und studieren gründlich die Geschichte der Kirche, die uns unser Stadtspiel-Kärtchen verrät. Wir lernen etwas über das Zeughaus und das Kronprinzenpalais, in dem die preußischen Herrscher lange Zeit doch vergleichsweise bescheiden residierten.

Sobald das schlimmste Wetter vorbei ist, werfen wir einen Blick in die „Neue Wache“. Als Unterkunft für die Sicherheitsleute der Hohenzollern gegenüber errichtet, dient das Gebäude im klassizistischen Stil eines griechischen Tempels heute als Mahnmal für alle Opfer des Kriegs.

Ein kurzer Blick hinein beweist uns, wie berührend Kunst wirken kann. Einsam und mit verzweifelt nach innen gewandtem Blick kniet lebensgroß die „Mutter mit dem toten Sohn“ von Käthe Kollwitz auf den schwarzen Pflastersteinen. Der Raum ist weit und frei zugänglich, aber Besucher aus aller Herren Länder bleiben respektvoll am Eingang stehen und schlucken. Unsere Jungs, die sich auf dem breiten Bürgersteig unter den Linden gerade noch enthusiastisch hin- und hergeschubst haben, werden ganz still.

„Ist das Jesus?“ frage Janis leise und deutet auf den leblosen Bronzekörper in den Armen der Frau.

Wir nehmen uns die Zeit und diskutieren unter dem Vordach darüber, was Kriege und der damit verbundene Schrecken für den einzelnen Menschen bedeutet. Es gießt ohnehin gerade wieder in Strömen.

So sehr ich „echte“ Stadtführungen schätze, bei denen Experten Rede und Antwort stehen, so froh bin ich heute über den individuellen Ansatz des Stadtspiels, dank dessen wir all unsere Schritte dem Wetter und dem Wissensdurst der Kinder anpassen können.

Die Neue Wache in der Straße Unter den Linden ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet und kostenfrei zugänglich.

Ein Ort, der wirkt: die Neue Wache, Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Ein Ort, der wirkt: die Neue Wache, Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Der Gendarmenmarkt und eine Pause im Zeichen des Quadrats

Über den Bebelplatz, auf dem die Nazis 1933 die Bücherverbrennung zelebrierten, wandern wir Richtung Gendarmenmarkt. Inzwischen ist Kaffeezeit – die Gründlichkeit, zu der unsere Kulturkinder auf Stadtrundgängen üblicherweise bereit sind, bremst uns auf der anderen Seite auf die Geschwindigkeit eines Eisgletschers.

Die Google Maps „Local“-App auf meinem Handy empfiehlt uns das Schokoladen-Café im ersten Stock der „Bunten Schokowelt“ von Ritter Sport. Während wir genussvoll quadratische Tortenstückchen verputzen, lesen wir im Trockenen über die Geschichte der Humboldt-Universität und die des Deutschen und des Französischen Doms, die den Gendarmenmarkt wie Zwillinge flankieren.

Wir müssen noch mal raus ins Mistwetter und die Laternen am Gendarmenmarkt zählen. Das Ergebnis teilen wir durch drei und verdoppeln es dann entsprechend der Anweisungen auf dem Kärtchen. Während wir Eltern langsam die Köpfe hängen lassen, sind die Jungs immer noch mit großem Eifer dabei.

Als nächstes steht immerhin die Sehenswürdigkeit auf dem Programm, auf die Janis sich schon so gefreut hat: das Brandenburger Tor. Der Fußmarsch dauert einige Zeit und führt entlang der „Schaustelle“, wie die U-Bahn-Großbaustelle Unter den Linden den Touristen euphemistisch verkauft wird. Bei den Kindern funktioniert’s, sie drücken sich an den Gucklöchern am Baustellenzaun die Nasen platt, während sich meine Sommerschuhe bereits in ein Aquarium verwandelt haben.

Die „Bunte Schokowelt“ ist in der Französischen Straße 24 zu finden und hat täglich von 10 bis mindestens 18 Uhr geöffnet.

Berlin im Regen - nützt ja alles nüscht.

Berlin im Regen – nützt ja alles nüscht.

Das Brandenburger Tor und die Mistwetter-Kapitulation

Dann endlich kommt Deutschlands wichtigstes Wahrzeichen in Sicht. Nachdem wir es pflichtschuldig von allen Seiten fotografiert haben, suchen wir unter dem mächtigen Torbogen Schutz und lesen, dass hier seit 1734 ein Stadttor Richtung Brandenburg führte und das heutige Exemplar der Propyläen auf der Athener Akropolis nachempfunden ist.

Wir erfahren vom unfreiwilligen Frankreichurlaub der Quadriga während der napoleonischen Kriege und von ihrem einsamen Schicksal auf dem Todesstreifen während der Deutschen Teilung.

Einen kurzen Schlenker machen wir noch, damit sich Silas „Frau Merkels Arbeitsstelle“ ansehen kann (das Reichstagsgebäude von außen, nicht das Kanzleramt, dahin wollen wir jetzt nicht mehr laufen). Dann ist endgültig die Luft raus, und wir nehmen die nächste U-Bahn Richtung Hotel.

Die letzte Station unseres Stadtspiels, das Sony-Center am Potsdamer Platz, heben wir uns für den nächsten Tag auf.

Höhepunkt des Berlin-Sightseeings: das Brandenburger Tor.

Höhepunkt des Berlin-Sightseeings: das Brandenburger Tor.

Unser Fazit

So findet unsere Schnitzeljagd ihren Abschluss bei strahlendem Sonnenschein und mit Blick in die gewagte Dachkonstruktion der modernen Architektur.

„Und, habt ihr jetzt was gelernt über Berlin?“ frage ich die Jungs.

„Nee“, behauptet Silas im Brustton der Überzeugung. „Das waren doch eigentlich nur Rätsel. Wir haben Buchstaben und Pferdeköpfe und so was gezählt und das war’s. Das war überhaupt nichts zum Lernen.“

Ich lache, und auch sein Bruder widerspricht ihm vehement: „Also, ich hab ganz viel gelernt. Was eine Quadriga ist, zum Beispiel. Und über den Krieg mit Frankreich.“

Wir beginnen, Dinge aufzuzählen, die wir erfahren und behalten haben. Und schnell sind wir uns dann doch einig: Ein Berlin-Spaziergang mit den Stadtspiel-Kärtchen ist Bildungsvermittlung erster Güte.

Das „Stadtspiel (Ver-)Führung Berlin“ ist in sechs Varianten erhältlich: Berlin City I und II, Prenzlberg, Kreuzberg, Friedrichshain und Berlin Kids. Auch Dresden (12 Routen), Leipzig (4 Routen) und – ganz neu – Hamburg (5 Routen) lassen sich auf diese Weise entdecken. Die Päckchen mit den Unterlagen kosten 19,95 Euro bis 35,95 Euro und sind online sowie an vielen verschiedenen Verkaufsstellen vor Ort zu haben.

Die Dachkonstruktion des Sony Centers wirkt großartige gegen blauen Himmel.

Die Dachkonstruktion des Sony Centers wirkt großartige gegen blauen Himmel.

Transparenzhinweis: Franziska Fischer vom „Stadtspiel (Ver-)Führung“ hat unser Bericht über die „Kids-Tour Dresdener Neustadt“ so gefallen, dass sie uns die „Schnitzeljagd Berlin City“ kostenfrei zur Verfügung gestellt hat. Darüber haben wir uns sehr gefreut, aber unser Urteil beeinflusst das nicht.

 

Mehr Städtetripps mit Kindern gefällig? Wie wäre es mit…