Bern ist die Hauptstadt der Schweiz. – Nein, das stimmt so nicht. Überhaupt ist Bern ein wenig widersprüchlich. Es ist teuer, es ist grau, und es hat geregnet. Trotzdem hat es uns ziemlich gut gefallen dort, denn Bern ist außerdem (für uns Norddeutsche) faszinierend anders, voller Kultur und spannender Geschichte. Und Silas wird die Stadt als der Ort im Gedächtnis bleiben, in dem er innerlich Abstand von seinem Helden Albert Einstein genommen hat. Zwei Tage waren wir als Backpacker in Bern mit Kind unterwegs und teilen jetzt unsere Tipps und Erfahrungen.
Dieser Text ist Teil unserer Serie „AbenTEUER Schweiz: 2 Wochen Backpacking mit Kind zwischen Berner Oberland und Genfer See“.
Wie ist das jetzt: Ist Bern Hauptstadt oder nicht?
Nach einer Woche französische Schweiz ist Bern unsere erste Station im deutschsprachigen Landesteil. Das ist wahrscheinlich ein bisschen kurios, denn mit 65 Prozent ist Deutsch (oder die Schweizer Ausführung des Deutschen) die mit Abstand meistverbreitete Sprache der Schweiz (23 Prozent Französisch, acht Prozent Italienisch, 0,5 Prozent Rätoromanisch, sagt Wikipedia).
Trotz der sprachlichen Unterschiede ist Bern die gemeinsame Hauptstadt aller Schweizer. Allerdings haben sich die Eidgenossen 1848 darauf geeinigt, den Titel Bundesstadt zu verwenden – klingt demokratischer und so.
Vorher gab es leidenschaftliche Diskussionen, ob es überhaupt eine Hauptstadt geben sollte, und wenn ja, welche. Das Anfang des 19. Jahrhunderts erprobte Rotationsverfahren erwies sich als nicht so praktikabel. Zürich und Luzern standen ebenfalls zur Debatte, aber das kleinere Bern gewann die Abstimmung schließlich aufgrund seiner Nähe zur Romandie (der französischsprachigen Schweiz). Und, wenn ich das richtig verstehe, vor allem, weil es nicht Zürich und nicht Luzern war (gegen diese Städte hatten nämlich verschiedene Interessengruppen starke Einwände).
Wie auch immer: De facto ist Bern die Hauptstadt der Schweiz.
Familienvereinigung am Berner Hauptbahnhof
Genug Weltgeschichte, zurück zu unserer ganz eigenen. Unser Bern-Abenteuer beginnt – wie immer auf dieser Backpacking-Tour – am Bahnhof. Auf der Hinfahrt nach Lausanne sind Silas und ich (und Janis‘ Austauschgruppe, deren Begleitung uns hergeführt hat) hier schon einmal umgestiegen.
Die Berner sind anscheinend recht stolz auf ihren neugestalteten Hauptbahnhof, dessen Fernverkehrszüge nun an hellen, luftigen Bahnsteigen mitten in der Innenstadt halten. Was für ein Loch die gesamte Angelegenheit früher einmal gewesen sein muss, lässt sich an den Gleisen der Regionalbahnen sehen. Deren Haltepunkte befinden sich nämlich immer noch unterirdisch in zugigen, kaugummiverklebten Tunneln, die jedem Klischee von der sauberen, idyllischen Schweiz widersprechen.
Aber gut, das überlebt man auch. Wir machen ja trotz allem nicht Urlaub auf dem Bahnsteig.
Ein wichtiges Ereignis unserer Reise aber findet am Berner Bahnhof statt: Hier treffen wir Martin. Es ist Karfreitag, und Silas‘ Papa hat endlich Urlaub. Nach einer Woche Mutter-Kind-Ferien sind wir nun eine weitere Woche lang zu dritt unterwegs.
Couchsurfing in Bern
Dass wir für unsere Verhältnisse nur recht wenig Sightseeing-Programm durchziehen, liegt daran, dass wir mal wieder bei weltbesten Couchsurfern unterkommen. Die Familie, die wir besuchen, wohnt etwas außerhalb in einem Vorort Berns. Wir verstehen uns so super, dass wir immer wieder Schwierigkeiten haben, abends rechtzeitig ins Bett zu gehen und uns morgens aus den Gesprächen am Frühstückstisch zu lösen. (Mehr möchte ich an dieser Stelle Couchsurfern auf Quartiersuche nicht verraten, aber wenn ihr die Richtigen seid, findet ihr Cöcu und seine family auch so.)
Zwei (dementsprechend nicht ganz) volle Tage für Bern reichen aber ganz gut hin, glaube ich. Sicher kann man sich länger in der Stadt beschäftigen, vor allem bei besserem Wetter. Bei zentraler Hotelunterkunft und etwas disziplinierterer Herangehensweise würde man unser Bern-Programm aber sicher auch an einem Tag über die Bühne kriegen.
Tag 1 in Bern: Sightseeing mit dem Audioguide
Auf Empfehlung unserer Couchsurfing-Gastgeber beginnen wir unseren Sightseeing-Tag in Bern in der Tourist-Information am Bahnhof. Hier gibt es die offiziellen Audioguides, die uns die Unesco-Welterbe-Stadt von vorne bis hinten erklären können. Für 18 Franken bekommen wir einen iPod, den wir bis zur Schließung der Tourist-Information um 18 Uhr zurückgeben müssen. Möchte man das gute Stück über Nacht behalten (was sich im Sommer fast anbietet, wenn es nach Schließen aller anderen Sehenswürdigkeiten noch lange hell ist), geht das zum Preis von 25 Franken.
Spar-Tipp: Kopfhörer können entweder mit ausgeliehen werden, oder man bringt seine eigenen mit. In dem Fall spricht nichts dagegen, zwei Kopfhörer pro Gerät anzuschließen (Splitter-Adapter* mitnehmen!).
Die freundliche Dame in der Tourist-Information gibt uns einen Stadtplan, auf dem zwei Strecken durch die Innenstadt eingezeichnet sind. Eine verläuft vom Bahnhof bis zum Bärengraben, die zweite vom Bärengraben zurück zum Bahnhof.
Die Berner Altstadt – die 1983 als Gesamtwerk zum Unesco-Welterbe erklärt wurde – liegt auf einer Landzunge, die die Aare umfließt. Das touristisch interessante Gebiet ist somit sehr gut einzugrenzen und übersichtlich genug, es an einem Tag zu erkunden. Der Audioguide erzählt zu praktisch jeder prägnanten Sehenswürdigkeit auf dem Weg eine Geschichte. Jede der beiden Strecken umfasst 18 Punkte und dauert zwei Stunden.
Wir haben dafür sechs Stunden gebraucht, weil wir unterwegs schließlich auch mal picknicken, uns austauschen und fotografieren wollten. Einige Punkte haben wir schließlich auch übersprungen, um rechtzeitig wieder an der Tourist-Information zu sein. Das fiel bei der geballten Ladung Kultur aber eh nicht weiter ins Gewicht.
Die einfache Strecke beträgt ungefähr zwei Kilometer. Wer nur eine Strecke mit dem Audioguide laufen möchte, kann sein Gerät auch bei der zweiten Tourist-Information am Bärengraben abgeben (allerdings bin ich mir nicht sicher, wie das dann mit dem Pfand läuft, denn Martin musste seinen Führerschein als Sicherheit hinterlegen).
Typisch Bern: Lauben und Brunnen
Verkabelt mit Kopfhörer schlendern wir drei also durch Berns Innenstadt. Immer wieder staunen wir nicht schlecht, denn die Schweizer (Nicht-)Hauptstadt hat Charakter. Am auffälligsten entlang der Hauptstraßen – der Marktgasse, der Kramgasse und der Gerechtigkeitsgasse zum Beispiel – sind die Lauben. So heißen die Arkadengänge, die aus den mittelalterlichen Marktständen entstanden sind. Im Laufe der Jahrhunderte bauten die Berner ihrer Häuser oben drüber aus, und es kamen überdachte Einkaufsstraßen dabei heraus. Gerade an Tagen mit Wetter wie heute ist das wunderbar.
Zwischen den Lauben verläuft offen die Straße, auf der Autos fahren (in der Altstadt nur Anlieger und ÖPNV). In der Mitte dieser Straße wiederum fließt – ebenfalls seit Jahrhunderten – die öffentliche Wasserversorgung Berns. Alle paar Meter teilt ein Brunnen den Verkehr. Viele davon sind mit einer Figur gekrönt. Elf sind es, die einen bestimmten Namen haben und zu den Wahrzeichen der Stadt gehören.
Der Kindlifresserbrunnen ist wohl der kurioseste (niemand ist sich sicher, was es mit der Schreckensfigur auf sich hat, sagt unser Audioguide). Mein Favorit ist der Anna-Seiler-Brunnen, der (vielleicht) einer Berner Geschäftsfrau des Hochmittelalters gewidmet ist, die den Vorläufer des heutigen Universitätskrankenhauses stiftete.
Natürlich sehen wir auch das Bundeshaus (das Schweizer Parlamentsgebäude), blicken von den Bundesterrassen und von der Großen Schanze aus auf die Aare. Wir besichtigen kurz das Münster (gratis) und lernen, was es mit dem Käfigturm und dem Holländerturm auf sich hat (ersteres ist offensichtlich, letzterer diente einst Berner Söldnern in niederländischen Diensten als geheime Raucherecke). Und wir betrachten die Zydglogge, die astronomische Uhr, Berns vielleicht bekanntestes Wahrzeichen.
Bern und die Bären
Der Bärengraben ist unser Wendepunkt. Wir überqueren die Aare auf der Nydeggbrücke und werfen einen Blick auf die tapsigen Bewohner, die erst vor kurzem aus dem Winterschlaf erwacht sind. Vier Braunbären wohnen im Bärenpark, zu dem die historische Zwingeranlage bis 2009 umgebaut wurde.
Seit dem Mittelalter hält die Stadt Bern mindestens eines ihrer Wappentiere als Maskottchen. Während die Haltungsbedingungen früher arg zu wünschen übrig ließen, haben die Bären heute recht großzügige Freigehege und dürfen sogar in der Aare baden.
Der Bärenpark ist frei zugänglich. Er gehört zum Tierpark Dählhölzli, der sich zwei Kilometer den Fluss hinunter befindet. Den schauen wir uns diesmal allerdings nicht an.
Tag 2 in Bern: Von morgens bis abends im Museum
Während unser erster Tag in Bern kalt und regnerisch, aber doch zumindest stellenweise immer mal wieder trocken ist, kann man das Wetter am Ostersonntag komplett vergessen. Macht nichts, denn wir haben eh Indoor-Pläne. Unser Hauptziel sind heute zwei Museen unter einem Dach.
Das Bernische Historische Museum
Das Historische Museum liegt nicht auf der Aare-Halbinsel, sondern am Helvetiaplatz. Der lässt sich aber vom Stadtzentrum aus über die Kirchenfeldbrücke in wenigen Minuten erreichen.
Das Bernische Historische Museum, wie es mit offiziellem Namen heißt, besitzt riesige Sammlungen von der Urgeschichte bis in die Neuzeit. Viele Ausstellungsbereiche sind speziell der Geschichte der Stadt und des Kantons Bern gewidmet, aber auch ägyptische Grabschätze, Indianer-Kunst und flämische Tapisserien aus dem 15. Jahrhundert sind zu sehen. Wer (wie wir) ein kleines bisschen museumsaffin ist, kann hier locker einen ganzen Tag verbringen.
Das Einstein-Museum
Uns interessiert heute aber besonders ein kleiner Teil der Geschichte, und zwar der, der mit Albert Einstein zu tun hat. Seit 2005 ist im Historischen Museum auch das Einstein-Museum untergebracht.
So ganz viel Lebenszeit hat der berühmte Wissenschaftler in Bern überhaupt nicht verbracht. Trotzdem hat das Museum hier seine Berechtigung. Immerhin hat der gebürtige Ulmer seine bahnbrechendsten Arbeiten hier verfasst, während er für das Berner Patentamt tätig war. Albert Einstein mag ein kompliziertes deutsch-schweizer-amerikanisches Mischprodukt sein. Zumindest die spezielle Relativitätstheorie ist aber eine echte Bernerin.
Das Einstein-Museum ist gut gemacht und klug konzipiert. Aber Kinder unter zehn, vielleicht sogar zwölf, sind hier nicht ganz richtig. Und das sage ich, deren Kinder schon im Kindergartenalter zwei Hände brauchten, um ihre Lieblingsmuseen aufzuzählen.
Es liegt am Thema. Der individuelle Lebenslauf eines begabten jüdischen Mannes in den schwierigen Lebensumständen der vorigen Jahrhundertwende ist faszinierend, aber für Kinder ebensowenig spannend wie seine abstrakten physikalischen Theorien. Letztere sind durch Computeranimationen hervorragend veranschaulicht – aber spätestens bei der Äquivalenz von Schwerkraft und Beschleunigung kann ich persönlich trotz bunter Bildchen nicht mehr folgen.
Silas sieht sich die Animation unglücklich noch ein zweites Mal an, dann zuckt auch er seufzend die Schultern. „Ich glaube, ich werd doch kein Physiker“, lautet sein bedrücktes Urteil.
Dazu muss man wissen: Bislang war Albert Einstein für den 10-Jährigen ein großer Held. Das lag (wie in den meisten Fällen von Heldenverehrung, egal in welchem Alter sie auftritt) vor allem daran, dass er wenig über sein Vorbild wusste. In der Ausstellung des Einstein-Museums kommen wir dem Menschen Albert Einstein ziemlich nahe. Silas muss erkennen, dass der geniale Mann seine Schattenseiten hatte, seine Frau zuerst ausnutzte, später unschön verließ. Dass er als Student die Geliebte dazu drängte, das gemeinsame uneheliche Kind heimlich fortzugeben, statt – wie arm auch immer – eine Familie zu gründen, geht ihm besonders quer runter. Erst, als er von Einsteins politischem Engagement zur Friedenswahrung und Bannung der Kernwaffen in späteren Jahren hört, ist er wieder halbwegs versöhnt.
Aber nicht ganz. Sagen wir es so: Sein übergroßes Vorbild hat die Ausstellung erfolgreich demontiert.
Eintrittspreise: Ein Familienticket (2+3) für Historisches und Einstein-Museum kostet 40 Franken. Einzeln zahlen Erwachsene 18 Franken, Kinder von sechs bis 16 Jahren 8 Franken. Einzeltickets nur für das Einstein-Museum gibt es nicht, der Eintritt ins Historische Museum ist immer dabei. Nur fürs Historische Museum gibt es kein Familienticket, hier zahlen Erwachsene 13 Franken, Kinder 4 Franken.
Mehr über die Schweiz mit Kindern
Weitere Berichte von unserem Backpacking-Trip durch die Schweiz mit Kind gibt es hier:
- AbenTEUER Schweiz: 2 Wochen Backpacking mit Kind zwischen Genfer See und Berner Oberland
- Genfer See: 6 Tipps für Lausanne mit Kind
- Genf low budget: Sightseeing mit Kind in der teuersten Stadt Europas
- Bern mit Kind: Einstein und Altstadt
- Schweizer Jugendherbergen: Unsere Übernachtung in Interlaken
- Interlaken: Zwischen Alpen und Asien
- Berner Oberland: Ausflug nach Thun mit Kind
- Sigriswil: Familien-Wandern über dem Thuner See
- Waadtländer Jura: Ausflug in die „kleinen Berge“
- Backpacking mit Kind in der Schweiz: Unsere Erfahrungen und Tipps
2019 haben wir einen weiteren Urlaub in der Schweiz verbracht. Auch davon habe ich Reiseberichte geschrieben:
- Osterferien: Roadtrip zwischen Schwarzwald und Schweiz
- Tessin: Locarno mit Kindern (in der Jugendherberge)
- „Glamping“ in der Schweiz: Mobile Homes auf den TCS-Campingplätzen
- Schokoladenfabrik besichtigen: Unser Ausflug zu alprose in der Schweiz
- Bosco Gurin: Idylle im höchsten Dorf des Tessin
- Lugano mit Kind: Die größte Stadt des Tessin
Transparenzhinweis: In Bern waren wir sozusagen „inkognito“ unterwegs und haben alle Eintritte selber bezahlt.
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