Im September 2014 sind wir ins Auto gestiegen, Richtung Süden gefahren, und erst drei Tage vor Beginn des neuen Schuljahres im August 2015 aus dem hohen Norden zurückgekommen. Diese Reise war die aufregendste Zeit unseres Lebens, die intensivste und wahrscheinlich auch die glücklichste Zeit für uns als Familie. Die größte Hürde bei der Umsetzung unseres Traums war die Genehmigung, unsere Kinder ein Jahr aus der Schule nehmen zu dürfen.

In der Praxis dagegen fiel uns Eltern das „Travelschooling“ leicht. Aus heutiger Sicht ist das Unterrichten für mich als Mutter einer der schönsten und erfüllendsten Aspekte unserer Familien-Auszeit. Ich habe in letzter Zeit viel über das Thema nachgedacht (was auch daran liegt, dass die ZEIT mich dazu interviewt hat; am 16. Februar erscheint dort ein Special zum Thema Schulpflicht, in dem wir vorkommen). Das habe ich zum Anlass genommen, um bei meinen „Schülern“ nachzufragen, wie sie „ein Jahr schulfrei mit Unterricht“ in Erinnerung haben, eineinhalb Jahre nach unserer Rückkehr.

Noch einmal die Fakten: Janis, du bist heute zwölf Jahre alt, Silas, du bist zehn. In eurem fünften bzw. zweiten Schuljahr seid ihr nicht zur Schule gegangen. Erzählt mir doch mal bitte in euren eigenen Worten, wie das kam!

Janis: Wird sind gereist. Weil wir das wollten.

Silas: Wir sind durch Europa gereist und konnten deswegen nicht in Deutschland zur Schule gehen.

Seit eineinhalb Jahren sind wir jetzt wieder da. Wie denkt ihr inzwischen über unsere Reise?

Silas: Ich fand’s toll!

Janis: Ich auch!

An was denkt ihr, welche Bilder seht ihr, wenn ihr an unsere Reise denkt?

Silas: Solche Reisebilder von unseren Unterkünften, oder auch von Dörfern, durch die wir gereist sind.

Janis: Von den zwei Katzen, Bella und Nero.

Silas: Ja, die beiden Babykatzen am Balaton!

Janis: Nee, nicht am Balaton, das war… im Donaudelta.

Silas: Ja, stimmt. Ja, an Tiere denke ich, und an Menschen. Und an die Umgebung.

Die kleinen Katzen in unserer Pension im Donaudelta waren nur die ersten in einer langen Reihe von Katzen-Liebschaften, die die Jungs seitdem gepflegt haben.

Und denkt ihr auch an Schule?

Janis: Joa, die war ganz gut.

Silas: Auf der Reise haben wir ja auch Schule gemacht. Das war halt so, dass wir ungefähr eine Stunde am Tag Schule gemacht haben, so verschiedene Sachen.

Janis: Das kann man doch alles im Blog nachlesen.

Silas: Wir hatten auch alle Schulhefte mit für die zweite Klasse, die wir dann bearbeitet haben. Und dann haben wir zu Hause Unterricht gemacht.

Janis: Nicht zu Hause, auf der Reise.

Silas: Ja, in der Ferienwohnung oder eben der Unterkunft, die wir gerade hatten.

Janis: Wir haben uns immer hingesetzt, und dann hast du mich abgefragt, in Englisch zum Beispiel, oder ich habe was abgeschrieben. Aber nie zu lang. Es ging alles viel schneller, weil halt keine anderen Leute da waren, die Lärm gemacht haben.

Silas: Und es ist viel entspannter, weil man, wenn man grad mal keinen Bock hat, kurz Pause machen kann, und sowas. Weil man immer zu Hause ist.

Janis: Nein, nein, nein, nicht zu Hause!

Silas: Jaaa, aber bei den Eltern eben. Und weil man nicht die ganze Zeit raus muss und wieder rein muss, und die Sachen in den nächsten Raum mitnehmen… Es ist gemütlicher. Und dass man dann auch ein bisschen privat sein kann während der Schule, das finde ich auch gut.

Wenn ihr an unser Travelschooling denkt, erinnert ihr euch dann eher an ein „Wir mussten ja immer“-Gefühl, oder eher an ein „Wir waren herrlich frei“?

Janis: Nein… ja.

Silas: Zweiteres.

Janis: Ja! Allein schon, weil es nicht so laut war wie in der Klasse.

Wie war für euch unsere Balance zwischen Reisetätigkeit und Schultätigkeit?

Janis: Das war gut.

Silas: Wir haben ja schon ein paar Sehenswürdigkeiten angeguckt und sind auch viel gewandert und so. Aber es gab auch Gammeltage, an denen wir nicht irgendwo hingegangen sind, sondern viel Schule gemacht haben, und danach dann auch spielen durften. Und das fand ich auch gut.

Travelschooling auf dem Balkon in Portugal.

Glaubt ihr, dass ihr mehr oder weniger gelernt habt als in derselben Zeit zu Hause?

Janis: Mehr.

Silas: Mehr.

Janis: Mehr als in derselben Zeit in der Schule. Auf jeden Fall. Wobei, Französisch… nicht.

Silas: Ich habe auf jeden Fall genug gelernt.

Ja, wie war das in Französisch, Musik und Handarbeiten? Das waren ja die drei Fächer, die wir unterwegs nicht unterrichtet haben?

Janis: Ja, in Handarbeiten habe ich ein bisschen was verpasst. Halt generell das Stricken. Das kann ich jetzt nicht. Aber wenn ich es irgendwann mal brauche, dann lerne ich das einfach. Das kann man ja nachholen.

Silas: Französisch haben wir doch auf der Reise gelernt. Zumindest, als wir in Frankreich waren, in der Praxis quasi. Mehr haben meine Mitschüler in der zweiten Klasse auch auf keinen Fall gelernt.

Janis: In der fünften Klasse schon. Aber da habe ich jetzt auch keine Nachteile mehr. Ich bin sogar der Zweitbeste in Französisch, würde ich sagen. Zumindest bin ich der, der am besten mitmacht.

Gab es sonst irgendwann einmal Situationen, dass euch Unterrichtsstoff gefehlt hat?

Silas: Nö.

Janis: Nur eben in Französisch. Da hat mir ein bisschen was gefehlt. Aber den anderen auch, obwohl sie da gewesen sind. Da musste das also sowieso wiederholt werden. Und in Englisch war ich dafür viel weiter als die anderen. In Mathe bin ich nicht der beste, nicht der schlechteste, irgendwo in der Mitte.

Wie war der Wiedereinstieg in eure alten Klassen für euch?

Janis: Nahtlos.

Silas: War schön, die alten Klassenkameraden endlich mal wieder zu sehen.

Hattet ihr das Gefühl, dass sich alle verändert haben?

Silas: Ein bisschen, aber nicht viel.

Janis: Nö.

Wie hat sich euer Stand in der Klasse verändert?

Silas: Eigentlich gar nicht. Nur, als ich wiederkam, waren halt ein paar neue Kinder da, die ich noch nicht kannte. Constantin, Jo und Noah. Das sind jetzt auch richtig gute Freunde von mir. Wobei mein bester Freund immer noch Mats ist. Das war vor der Reise so, und das hat sich auch nicht geändert.

Janis: Bei mir waren auch ein paar neue Kinder da, aber ansonsten hat sich nichts verändert. Ich bin da einfach wieder rein und hab mich hingesetzt. Die haben sich jetzt auch nicht sonderlich gewundert, oder haben auch nicht gefragt, wie es war oder so. Ich war einfach wieder da.

Habt ihr das Gefühl, in der Schule irgendwas verpasst zu haben? Kommt da manchmal irgendwas zur Sprache, wo ihr nicht mitreden könnt?

Janis: Nö. Doch, die Klassenfahrt. Aber nach allem, was ich so höre, war die gar nicht so toll.

Silas: Ich hab auch nichts verpasst. In der zweiten Klasse lernt man ja eh noch nicht viel.

Glaubt ihr, dass ihr euch durch die Reise verändert habt? Dass euer Lernverhalten anders geworden ist? Deine Lehrerin sagte neulich so etwas, Janis.

Janis: Ich habe den Eindruck, dass ich in der Schule besser geworden bin. Es fällt mir leichter, aufzupassen und mich zu beteiligen. Aber das kann natürlich auch einfach daran liegen, dass ich älter geworden bin. Dass Frau K. das bei mir auffällt und bei anderen vielleicht nicht, könnte ja auch damit zu tun haben, dass sie bei mir den Sprung gesehen hat, und bei den anderen es Schrittchen für Schrittchen mitgekriegt hat, weil die die ganze Zeit über da waren. Das ist ja schwer zu beurteilen.

Und sonst? Habt ihr euch sonst durch die Reise verändert?

Janis: Ja. Schon.

Silas: Ja. Zum Guten. Auf der Reise habe ich viel dazugelernt, wie Standards so in anderen Ländern sind, wie die Leute anderswo leben. Dass wir es hier in Deutschland ziemlich gut haben.

Denkt ihr heute noch manchmal an unsere Reise?

Silas: Natürlich. Wär ja wohl auch ein bisschen schade, wenn nicht.

Janis: Ich nicht so oft. Zwei, drei Mal in der Woche vielleicht.

Silas: Das nennst du nicht so oft? Ich denke vielleicht einmal in der Woche daran. Wenn mich irgendwas erinnert, und ich denke: Das ist ja wie auf unserer Reise…

Janis: Zum Beispiel, wenn jemand in meiner Klasse sagt: Das ist so viel zu unstrukturiert. Dann sage ich: Dann musst du mal nach Albanien fahren! Oder irgendwie sowas.

Silas: Oder es gibt ja im Moment einen Praktikanten bei uns an der Schule. Ich weiß nicht mehr, aus welchem Land der kommt, irgendwas außerhalb von Europa. Und der hat erzählt, dass es in seiner Heimat sehr unordentlich ist und überhaupt keine Verkehrsregeln gibt. Da musste ich an Italien denken.

Würdet ihr anderen Familien eine Reise wie die unsere empfehlen?

Janis: Ja.

Silas: Auf jeden Fall.

Janis: Sie sollten nur nicht alle auf einmal fahren. Nicht, dass ich nachher als einziger in der Klasse sitze…

Balkendiagramme, Größenvergleiche, Verhältnisrechnung – auf der Reise läuft das bei uns immer am lebenden Beispiel.

Mehr über „Travelschooling“ und Beurlaubung von der Schulpflicht

Über unseren Weg zur temporären Beurlaubung von der Schulpflicht habe ich ein E-Book geschrieben. Mehr Infos…

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Transparenzhinweis: Dieses Interview habe ich mit meinen Jungs am 8.2.2017 geführt und gebe es nach journalistischer Arbeitsweise wahrheitsgetreu wieder (das heißt, dass Abschweifungen und so „rausgeschnitten“ und Nachfragen geglättet sind, aber inhaltlich nicht eingegriffen und ansonsten der mitgeschnittene Wortlaut verwendet wurde). Es tut mir ein bisschen leid, dass dadurch der Eindruck entstehen kann, die Jungs hätten vor allem in Erinnerung, wie „unordentlich“ es anderswo ist. Das müssen wir familienintern wohl noch mal thematisieren. :)

Der erste Satz in der Einleitung ist technisch gesehen nicht ganz korrekt, denn wir waren zwischen unserem Roadtrip und der Kreuzfahrt im Juni/Juli knapp zwei Wochen auf Heimaturlaub, aber da waren schon Sommerferien. Das tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache, aber ich bin pathologisch ehrlich und bringe es nicht mal übers Herz, Ungenauigkeiten aus stilistischen Gründen stehen zu lassen.