Highclere Castle zählt zu den „stately homes“ – den Herrenhäusern alteingesessener Adelsfamilien. Diese sind in Großbritannien generell beliebte Ausflugsziele. In England gibt es sie wie Sand am Meer. Highclere Castle allerdings ist bei Einheimischen wie Touristen besonders beliebt – schließlich ist das Schloss der Drehort der beliebten BBC-Serie „Downton Abbey“. Wir waren da und tratschen mal weiter, was es dort für das stattliche Eintrittsgeld so zu sehen gibt.

Schloss mit Wiedererkennungseffekt – und das liegt bei den meisten Besuchern nicht daran, dass derselbe Architekt die Houses of Parliament erbaut hat).
Teurer Spaß: Highclere Castle besichtigen
Haus und Gärten sind voll von Menschen. Sie vergnügen sich auf dem Gelände der herrschaftlichen Anwesen, genießen bei einer Führung durch die repräsentativen Wohnräume voyoristische Blicke auf Familienfotos und erfreuen sich anschließend beim Picknick in den luxuriösen Gartenanlagen (nach dem Abstecher in den gift shop natürlich, den Andenkenladen). Diesen Spaß lassen sich junge Familien, gesetzte Ehepaare und Seniorengruppen gerne einiges kosten – wissen sie doch, dass sie damit einen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes ihres Landes leisten. Uns Knauserköppe dagegen hat es einiges an Überwindung gekostet, die 34 Pfund (ca. 42 Euro) für ein Familienticket auf den Tisch zu legen, das uns Einlass in Highclere Castle gewährt. Aber erstens ist das eine astreine Möglichkeit, britische Mentalität in ihrem natürlichen Habitat zu studieren – man muss das einfach mal gesehen haben. Zweitens ist das Heim von Earl und Countess of Carnarvon in der Tat sehenswert: Viele ihrer Vorfahren waren dem Reisen sehr zugetan, brachten chinesische Antiquitäten mit nach Hause und wirkten in der Person des fünften Titelträgers sogar bei der Ausgrabung des Pharaonengrabs von Tutanchamun mit. Und drittens – ja gut, das ist der eigentliche Grund, der für uns und wohl 90 % der anderen Besucher den Ausschlag gab – ist Highclere Castle der Drehort unserer Lieblingsserie „Downton Abbey“.
Downton Abbey „in echt“
Hier haben wir die tragische Liebesgeschichte von Mary und Matthew verfolgt, mit der fiktiven Adelsfamilie und ihren Angestellten den ersten Weltkrieg durchlitten und am Ende der dritten Staffel eine Großpackung Taschentücher verbraucht (also, ich – Martin ist tapfer geblieben, aber er war derjenige, der gleich schon mal die Vorbestellung für Staffel vier aufgegeben hat). Dass wir nicht die einzigen TV-Touristen sind, ist uns sofort klar, als wir auf den provisorisch vergrößerten Parkplatz abbiegen: Der ist ungefähr doppelt so groß wie der von Stonehenge, und dreimal so voll.
Im Gegensatz zu „Hogwarts Castle“ in Alnwick ist es dem sparsamen Besucher vor Highclere Castle durchaus möglich, vor der Absperrung gratis einen Blick auf die Fassade zu werfen und das obligatorische Selfie für den „Ich war in Downton Abbey“-Facebook-Eintrag zu schießen. Ein ausgetretener Trampelpfad zeigt, dass der Gratis-Fotospot hoch frequentiert ist.
Tickets für Highclere Castle: Nicht so einfach
Wir gönnen uns den Luxus und lösen Tickets. Pro Tag wird nur eine gewisse Zahl Besucher auf dem Gelände erlaubt. Es empfiehlt sich, den Eintritt schon vorher übers Internet zu buchen. Wir haben Glück und werden ohne Reservierung eingelassen. Sogar in die Ägypten-Ausstellung im Keller des Anwesens kämen wir noch rein – aber das wären noch mal 20 Pfund extra, und das ist uns der Spaß dann doch nicht wert (schließlich haben wir kürzlich genug Ägyptologie im British Museum in London und auf der Museumsinsel in Berlin gesehen). Gärten und Haus genügen uns.
Und dann stehen wir tatsächlich auf dem „heiligen Boden“, den wir so oft auf dem Bildschirm gesehen haben. Sogar die Kinder, die niemals mehr als den Vorspann der „langweiligen Serie“ gesehen haben, sind beeindruckt ob des Wiedererkennungseffekts.
Der erlischt allerdings sofort, als wir die schwere Eingangstür mit den Wölfsköpfen darauf aufziehen und in einer neogotischen Eingangshalle stehen. Wo kommt die her? So oft haben wir die Crawleys ihr Heim betreten sehen, aber die tauchten immer sofort in der Haupthalle auf.
„Der Eingangsbereich ist zu beengt, um hier zu drehen“, erklärt die bereitstehende Auskunftsdame, die diese Worte bestimmt hundert Mal am Tag von sich geben muss. „Ab dieser Tür aber werden Sie ganz viele Orte wiedererkennen“, verspricht sie uns und weist uns in die Bibliothek. „Aber bitte bedenken Sie, dass das Fotografieren in den Innenräumen nicht gestattet ist“, ermahnt sie mich noch ob der schweren Kamera, die in vorbildlicher Touristenmanier vor meinem Bauch baumelt.
Ich schmolle nur kurz, denn sobald ich durch die gewiesene Tür trete, bin ich fasziniert. Nicht nur von der schieren Menge alter Lederbände, die jedes Bibliophilen-Herz höher schlagen lassen, sondern von dem Gefühl, mich tatsächlich in Downton Abbey zu befinden. In diesem Raum hat Lord Grantham manch niederschmetternde Nachricht erhalten und manchen Glücksmoment erlebt. Sein Portrait – beziehungsweise das von Schauspieler Hugh Bonneville – steht denn auch auf dem Flügel.
Einblick ins Privatleben inklusive
Nur einen Schritt weiter sehen wir Fotos von den echten Eigentümern des Herrenhauses. Beinahe sämtliche Möbeloberflächen sind mit Bilderrahmen bestückt: Die Kinder beim Spielen, die Familie unterm Weihnachtsbaum, Familienfotos von der Taufe bis zur goldenen Hochzeit, das Bild der Dame des Hauses als Braut mit Lady Di an ihrer Seite. Ich komme mir vor wie ein Voyeur, der in anderer Leute Privatsachen schnüffelt.
Für die britischen Besucher vor und hinter uns scheint das dagegen ein wichtiger Teil des Vergnügens zu sein. „Wie kommt es, dass der Prince of Wales unter den Hochzeitsgästen war?“ fragt eine ältere Dame neben mir im Ton einer Boulevard-Journalistin die bereitstehende Angestellte. „Lady Di war eine Schulfreundin der Lady Carnarvon“, gibt die Angesprochene bereitwillig Auskunft und plaudert aus dem Nähkästchen. Die Vermarktung des adligen Privatlebens gehört ganz offensichtlich zum Konzept. Überall in den zur Besichtigung freigegebenen Räumen des Erdgeschosses und der ersten Etage wird der Eindruck eines lebendigen Familienheims erweckt. Hinter den Absperrbändern in den Schlafzimmern stapeln sich moderne Taschenbücher auf den Nachtschränken, und die Papierkörbe unter den Frisiertischen sind mit Müllbeuteln bestückt.
Ob die Familie außerhalb der Öffnungszeiten ihre Abende wirklich zeitungslesend auf den Antiquitäten im Salon verbringt, weiß ich nicht (obwohl das auskunftsfreudige Personal es mir bestimmt verraten hätte, hätte ich mal gefragt). Während des Besucheransturms und während der Phasen der Dreharbeiten jedenfalls zieht man sich offenbar entweder in das obere Stockwerk zurück oder verlässt das Anwesen komplett.

Gut besucht, aber dank Touristen-Obergrenze nie überfüllt: Park und Garten laden zu ausgiebigen Spaziergängen ein.
Eigentum verpflichtet: Warum der britische Adel vermietet
Im Flur hängt eingerahmt ein Interview, das Lady Fiona kürzlich einer britischen Frauenzeitschrift gegeben hat. Darin berichtet sie, mit welchen Problemen Häuser wie das ihre zu kämpfen haben. Um die immensen Unterhaltskosten für ein Schloss mit mehr als 50 Zimmern und diverse unbezahlbare Kunstwerke aufzubringen, sind tragfähige Geschäftsideen unumgänglich. In der Serie selbst, die am Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt, spielt das Problem ebenfalls eine Rolle. „Häuser wie Downton wurden für eine andere Zeit gebaut“, sagt Lord Grantham auf dem Bildschirm sinngemäß angesichts steigender Personalkosten, sinkender Einnahmen aus der Landwirtschaft, gesellschaftlichen Wandels und technischer Neuerungen. Genau wie ihre Fernseh-Pendants sehen sich Graf und Gräfin Carnarvan ihren Aussagen zufolge als Bewahrer und Verwalter des Anwesens. Ihr Ziel sei kein luxuriöser Lebenswandel, sondern das Haus unbeschadet an die nächste Generation weiterzugeben – und möglichst in einem besseren Zustand als dem bei ihrem eigenen Antritt des schwer lastenden Erbes. Sensationshungrige Touristen einzuladen, erscheint vielen alten Familien da als notwendiges Übel. Der Rummel um Großbritanniens mit Abstand erfolgreichste Fernsehserie der letzten Jahre kommt da gerade recht. Dem Artikel zufolge schreibt Highclere Castle zum ersten Mal seit Jahren wieder schwarze Zahlen, und ein drohender Verkauf konnte abgewendet werden.
Fazit: Highclere Castle besichtigen? Unbedingt!
Auch wir wären ohne „Downton Abbey“ heute sicherlich nicht hier und würden kein Geld in die Kassen spülen, das bereits für die nächsten Renovierungsarbeiten verplant ist. Der Besuch befriedigt aber nicht nur unsere menschliche Sensationslust und die Neugier, wie es hinter den Kulissen eines Drehorts zugehen mag. Wir haben auch etliches über englischen Adel und ihre wechselseitige Beziehung zu den „normalen“ Leuten gelernt. Und ganz nebenbei haben wir auch noch einen tollen Tag gehabt, in all der Pracht im Inneren und auf dem weitläufigen Gelände. Meine dringende Empfehlung an alle England-Reisenden: Gönnt euch und den Inhabern ruhig mal die Besichtigung eines alten Familiensitzes!
Praktische Hinweise für den Besuch von Highclere Castle
Highclere Castle befindet sich bei Newbury und ist ab der Ausfahrt der A34 weiträumig ausgeschildert. Bis London sind es etwa eineinhalb Stunden Fahrzeit, und da es fast auf dem Weg liegt, bietet sich eine Verbindung mit einer Tagestour nach Stonehenge an (wie wir es gemacht haben). Haus, Gärten und Ausstellung sind in der Sommersaison mit etlichen Ausnahmen donnerstags bis sonntags von 10.30 und 18 Uhr geöffnet. Wir hatten Glück damit, einfach so vorbeizufahren und ein Ticket zu lösen, aber die Webseite empfiehlt dringend, im Voraus zu buchen. Ein Familienticket (2+3) für Haus und Gärten kostet 35 Pfund (aktuell ca. 42 Euro); wer auch die ägyptische Ausstellung sehen will, muss für alle zusammen 55 Pfund (ca. 66 Euro) löhnen. Dafür ist das Parken direkt vorm Eingang frei. Tea rooms und gift shop (Andenkenladen) sind selbstverständlich vorhanden, aber auch gegen ein Picknick in den weitläufigen Parkanlagen spricht nichts.
Dieser Bericht basiert auf dem Eintrag meines Reisetagebuchs vom 2. September 2013. Mehr Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis.
PS: Grade entdeckt – auch Lady Carnarvan bloggt! Hier teilt sie Einblicke in das Leben einer modernen Gräfin und Geschäftsfrau.
Als bekennender Downton Abbey-Addict bin ich jetzt ein wenig neidisch… :)
Ich habe zur Weihnachtszeit erst angefangen, die Serie zu schauen..herzlichen Dank für diesen informativen Bericht! LG Lotta